Moritz Kai Andreas: Die Schwierigkeit der Ironie angesichts „der Verdopplung der Welt“. Elfriede Jelineks „reinGOLD. ein bühnenessay“

Elfriede Jelineks Schreiben gilt als subversives, mithin politisches und engagiertes Schreiben. Doch wie kann in gesellschaftlichen Verhältnissen engagiert geschrieben werden, in denen jede Möglichkeit eines Widerspruchs gegen diese destruiert scheint? In Verhältnissen also, gegen die der Wunsch nach Veränderung ohnmächtig wie hoffnungslos anrennt und damit selbst widersprüchlich wird. Jelineks Schreiben ist sich diesem Scheitern bewusst und versucht nicht, es zu überwinden, indem es sich diesem abstrakt-moralisierend entgegensetzt. Vielmehr verfährt es dadurch, dass es dieses Scheitern durch die Form des Textkunstwerks vermittelt und damit selbstreflexiv thematisiert und inszeniert. Durch dieses Ausstellen des Widerspruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit gründet das Schreiben in einem „ironischen Trotzdem“ (Sebastian Weirauch). Ironie kann mit Sokrates als eine Form begriffen werden, in der die „Verdopplung der Welt“ (T. W. Adorno), und das heißt Ideologie, wiederum verdoppelt und so gespiegelt wird. Dahingehend ist Ironie eine negative, kritische Form, dass sie immanent verfährt. Der subjektive Ausdruck der (ideologischen) Verdopplung: die sich in den Phrasen und dem Bescheidwissen selbstaussprechenden Verhältnisse sind ihr Gegenstand und Material. In dessen Montage soll die Wahrnehmung der LeserInnen irritiert werden. Die Verhältnisse sind aber nicht nur Gegenstand, sondern auch die Bedingung der Ironie beziehungsweise des Wahrnehmungshintergrundes der Ironikerin selbst, die – wie jede/r Kritiker/in – nicht über die Verhältnisse, die sie verändern will, hinaus ist. Indem die Sprache sowohl Gegenstand als auch Bedingung der Ironie ist, ist diese schwierig. Und es ist diese Schwierigkeit des subversiven Schreibens, die selbst schwierig wird: Die ironische Inszenierung des Widerspruchs zwischen Anspruch und Wirklichkeit droht selbst noch einmal schwierig zu werden. Darin droht sie nicht mehr nur selbstreflexiv-irritierender Prozess zu sein, sondern in Identifikation, und das heißt Wiederholung zu kippen. Gradmesser des identifikatorischen Moments ist dabei die Rezeption, die die engagierte Intention partiell fetischisiert und dahingehend das Verhältnis von Material und Gehalt beschneidet. Exemplarisch liegt die so skizzierte Schwierigkeit in reinGOLD. ein bühnenessay (2013) vor. Hier wird die Schwierigkeit des Schreibens, und das heißt der Zusammenhang von Politik und Kunst in die Konstellation zweier Intertexte gebracht: Richard Wagner und Karl Marx, Ring und Kapital treten in einen Dialog. Dieser entfaltet sich zwischen der Revolution von 1848 und dem Horizont der Krise von 2008ff, die als Bühne fungiert. So trifft der Zusammenhang von Politik und Kunst auf den von Krise und Kritik.

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Andreas Marksteiner: Die symbolische Vergewaltigung der Gottesmutter Maria – Eine Analyse der Sexualisierung christlicher Symbole und Motive in Elfriede Jelineks Roman „Lust“ (1989)

Bachelorarbeit

Die vorliegende Arbeit untersucht Elfriede Jelineks Roman Lust (1989) im Hinblick auf christlich-religiöse Motive, insbesondere im Zusammenhang mit sexueller Gewalt innerhalb der Institution der Ehe. Obwohl der Text bislang vornehmlich als feministische Auseinandersetzung mit männlicher Macht und weiblicher Unterdrückung rezipiert wurde, lässt auch dieses Werk eine Lesart zu, welche den Jelineks Gesamtwerk durchziehenden religionskritischen Diskurs in den Vordergrund rückt.

Ziel der Arbeit war es, mithilfe einer möglichst textnahen Analyse sprachlicher Mittel und intertextueller Referenzen aufzuzeigen, inwiefern Jelinek gängige Geschlechterbilder und in der Religion verankerte Symboliken aus ihrem eigentlichen Sinnzusammenhang löst und dekonstruiert. Ausgangspunkt ist die Betrachtung der Ehe als von der christlich-katholischen Gesellschaft gestützte Struktur, die im Roman als Rahmen für Gewalt und Erniedrigung fungiert. Im Fokus stehen in der Folge die Metapher des Lichts sowie der Begriff der Transsubstantiation, die im Text in einen dezidiert sexualisierten Kontext überführt werden.

Eine Analyse des Textes zeigt, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau innerhalb der Ehe wird auf ein simples Herr-Knecht-Verhältnis reduziert wird. Jelinek unterläuft gezielt christliche Sinnbilder und liturgische Terminologie, um patriarchale Machtmechanismen offenzulegen. Darüber hinaus lässt sich die im Roman entfaltete Dreieckskonstellation von Mann, Frau und Kind als Spiegelbild der in der christlichen Heilsgeschichte verankerten Triade von Gott, der Jungfrau Maria und Jesus Christus interpretieren. Die so im Kern des Romans stehende Gottesmutter als Opfer sexueller Gewalt sowie als stillschweigende Mittäterin offenbart eine radikale Kritik am Frauenbild der katholischen Kirche.

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Doris Prachinger: Elfriede Jelineks Österreichbild im Wandel

Masterseminararbeit

In der vorliegenden Arbeit geht es um das Österreichbild bei der Autorin Elfriede Jelinek in den folgenden vier ihrer kurzen essayistischen Texte, von denen jeder aus einem anderen Jahrzehnt stammt, sodass sie einen Zeitraum von den 1990ern bis zu den 2020ern abdecken:

  • Die Österreicher als Herren der Toten (1992) / Wir Herren der Toten (1995)
  • Österreich. Ein deutsches Märchen (2002)
  • Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder! (2018)
  • Der Atem-Automat (2024)

Österreich ist in jedem dieser Texte ein Thema und für Jelineks Auseinandersetzung mit Österreich ist stets die Politik des Staates zentral, insbesondere die FPÖ mit ihrem Rechtspopulismus. Jelineks Auseinandersetzung mit der FPÖ führt zu einem kritischen Begriff von Österreich: Das ist die These für diese Arbeit und sie kann nach einer Analyse der Texte belegt werden, denn in jedem der vier Texte zu Österreich wird die rechtspopulistische Politik der FPÖ als ein schlechter Einfluss auf die österreichische Gesellschaft thematisiert. 

Über die Texte hinweg findet eine Auseinandersetzung mit den Strategien der FPÖ statt. Im Zentrum des ältesten Textes steht Othering, im folgenden Text ist der Umgang mit Macht ein wichtiges Thema, im danach verfassten Text geht es um konkrete Beschlüsse einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung und der zuletzt erschienene Text ist schließlich eine Bearbeitung des typischen Narrativkomplexes, mit dem unter anderem die FPÖ ihre Wählerschaft ködert.

Im Laufe der Jahrzehnte reagiert Jelinek in ihren Beobachtungen zu Österreich auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Diese Arbeit verfolgt demnach die Forschungsfrage: „Welche Entwicklung nimmt Jelineks Auseinandersetzung mit Österreich?“

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Theresa Spielmann: Posthumous Dramaturgies: Modes of Eco-Grief and Queer Death in Performance (Arbeitstitel)

Dissertation

Abstract (Deutsche Version)
Dieses Projekt untersucht die Präsenz des Posthumen in Ökotheater und die Bewegung in Theater und Performance hin zu posthumen Dramaturgien. Dieser Wandel geht auf die Entwicklung des postdramatischen Theaters (Lehmann, 2006) und später posthumanistischer Bewegungen (Stalpaert et al.) zurück und ist eine Reaktion auf ökologische Krisen und sich abzeichnende Enden wie Massenaussterben, kulturelle Enden, planetarischen Tod, Trauer und die Endlichkeit der Menschheit. Aufstrebende Felder wie Extinction Studies (Rose et al., 2017), Critical Life Studies (Weinstein und Colebrook, 2017) und Queer Death Studies (Radomska et al., 2019) unterstreichen diesen Trend hin zu Enden. Innerhalb dieser Bereiche konzentriert sich diese Forschung auf das Fortbestehen des Todes und begreift das Posthume als jenes, was aus dem Tod hervorgeht und sowohl das Lebenden als auch das Tote belebt. Das Projekt untersuch anhand von Arbeiten der Theater- und Performancekünstlerinnen Melissandre Varin, Sara Manente, Silke Huysmans und Hannes Dereere und Elfriede Jelinek (Asche), wie Künstlerinnen, motiviert durch (ökologische) Krisen, dramaturgische Methoden und Trauerformen entwickeln, die menschlichen Exzeptionalismus und die Binärität von Leben/Tod und Natur/Kultur in Frage stellen.

Abstract (English Version)
This project explores the presence of the posthumous in eco-theatre and the movement in theatre and performance towards posthumous dramaturgies. Stemming from the development of postdramatic theatre (Lehmann, 2006) and later posthumanist movements (Stalpaert et al., 2021), this shift responds to ecological crises and emerging ends such as mass extinction, cultural endings, planetary death, grief, and the finitude of humanity. Emerging fields such as extinction studies (Rose et al., 2017) critical life studies (Weinstein and Colebrook, 2017) and queer death studies (Radomska et al., 2019) highlight this trend towards endings. Within the wider field of ends this research focuses on the ongoingness of and after death, grasping the posthumous as that which emerges death and animates both the living and the dead. The project will investigate, through analysing works by theatre and performance artists Melissandre Varin, Sara Manente, Silke Huysmans and Hannes Dereere and, Elfriede Jelinek (Asche), how artist, motivated by (ecological) crises, develop dramaturgical methods and modes of grieving that challenge human exceptionalism, life/death and nature/culture binaries.

17.1.2025

Informationen zu Theresa Spielmann

Jakob Ilakovac: Drama der Untoten/Untote Dramatik

Die Arbeit widmet sich dem Stück Krankheit oder Moderne Frauen, um dieses auf Elemente zu untersuchen, die im postdramatischen Traditionszusammenhang stehen. Das Ziel ist es, festmachen zu können, welche dieser Elemente sich radikalisieren. Dafür werden zwei weitere Stücke – namentlich handelt es sich dabei um Burgtheater und Wolken.Heim – herangezogen, die als Vergleiche fungieren werden. Um Postdramatik in ihrem Wesen zu erfassen, wird dabei insbesondere mit Hans-Thies Lehmanns wegweisender Schrift Postdramatisches Theater gearbeitet.

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Patrycja Bogdańska: Ein Raum, der zur Leinwand der Innerlichkeit wird

Der Artikel konzentriert sich auf der Frage, wie es Frauen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten, gelungen ist, in ihrer Literatur zu Wort zu kommen. Der Beitrag stellt den Versuch dar, die von Autorinnen geschaffene Schreibmethode näherzubringen – die Methode, die ihnen die Möglichkeit verschaffte, das eigene „Ich“ zu offenbaren und sich aus dem Schweigen zu befreien. Es wird eine Analyse durchgeführt, die sich auf die Rolle von „Schreibräumen“ und Alltagsgegenständen im weiblichen Schreiben konzentriert – mit besonderem Schwerpunkt auf die metaphorische Wand, die der Schlüssel zum Verständnis ausgewählter Frauentexte zu sein scheint. Einen wichtigen Punkt dieser Analyse bildet die philosophische Auseinandersetzung mit der Philosophie der Gegenstände, die von Vilém Flusser und von Gaston Bachelard konzipiert wurde.

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Merle Proll: Gewalt und Geschlecht in Elfriede Jelineks „Burgtheater“

„Burgtheater“ ist ein Vieles, ein Skandalstück, ein Identitätsstück, ein Volksstück und damals wie heute höchst politisch. Die Veröffentlichung 1982 setzte eine regelrechte negative Aufladung des Namens der Autorin Elfriede Jelinek in Gang, die letztendlich in der Betitelung der „Nestbeschmutzerin“ mündete. Mit nur zwei Inszenierungen endete die Aufführungsreihe, bis heute ist das Theaterstück von Jelinek selbst gesperrt.

In „Burgtheater“ befasst sich Jelinek mit der nicht Aufgearbeiteten Geschichte des zweiten Weltkriegs in Österreich und liefert einen Fingerzeig auf die daraus resultierenden immer noch vorhandenen nationalsozialistischen Ideologien in der zeitgenössischen Gesellschaft. Mit Rückgriff auf österreichische Traditionen wie Nestroy und Raimund kritisiert sie anhand einer bekannten Burgtheater-Schauspielerinnenfamilie den vorherrschen Theaterkult der Menschenbildnerinnen und die Involviertet von Schauspieler*innen während der NS-Zeit, die unter dem Deckmantel der Kunst nach dem Krieg weiter arbeiteten, ohne dabei jemals zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

Dafür montiert Jelinek Zitate aus Biografien, literarischen Werken und besonders Filmen der Kriegs- und Nachkriegszeit. Hinter jedem Satz im Stück verbürgt sich ein Abgrund. Jelinek liefert Beweise einer anhaltenden Durchzogenheit von NS-Propaganda und stellt sie im Visuellen und Sprachlichen bloß.

Unter der dauerhaften Präsenz von körperlicher und sprachlicher Gewalt, die eine Brutalität zeitloser Zeit darstellen soll, wird sich in dieser Arbeit besonders auf den Zusammenhang von Gewalt und dem weiblichen Geschlecht konzentriert. Dass Jelineks Werk durchzogen ist von feministischen Ansätzen, ist allgemein bekannt. Wie sich diese allerdings in Form von gewalttätigen Frauen äußern kann, wird in dieser Arbeit diskutiert. Hinzu kommt eine Analyse von einem Bild der Frau, das im Damals, Heute und Dazwischen von struktureller Gewalt durchsetzt ist.

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Armin König: Kopräsenz der Flucht im politischen Literatur-, Bühnen-, und Film-Theater denken – Von Aischylos bis Jelinek, von Homer bis Casablanca

Kopräsenz verspricht nicht nur als Konzept für Flucht- und Film- und Theatergeschichten wichtige Erkenntnisse. Erving GOFFMAN (1971) hat den Begriff eingeführt, der seither in Psychologie, Pädagogik, der Philosophie, der interdisziplinären Wahrnehmungsforschung und der Sportwissenschaft eine erstaunliche Karriere gemacht hat.
BRODOWSKI et al. (2002) haben mit ihrer Studie nicht nur die Grundlage für die Ringvorlesung gelegt, denn alle Lehrenden haben sich darauf bezogen. Das mehrschichtige Konzept setzt auf Pluralität und Anschlussfähigkeit und bricht mit Integrations- und Homogenitätsvorstellungen einer traditionellen deutschen »Leitkultur«-Ideologie. Gleichzeitig gilt es, »Migration als konstituierendes Element der heutigen europäischen Gesellschaften zu akzeptieren«1, was aber in der aktuellen deutschen und europäischen Politik derzeit offenkundig abgelehnt wird. Kopräsenzen der Flucht sind ein Kontrastprogramm zur aktuellen Politik. Diese hat Migration als Bedrohung der Einheimischen konstituiert. Deshalb muss Reaktanz immer mitbedacht werden. Dabei ist die Situation sehr komplex:

»Flucht geht fast immer mit dem Erleben existenzieller Bedrohung, mit Erfahrungen des Brüchigen, Plötzlichen, Gewaltsamen, Provisorischen und Unabgeschlossenen einher, mit der Fragmentierung oder Erschütterung von bestehenden wie auf die Zukunft gerichteten Lebensentwürfen und mit der Gleichzeitigkeit des Disparaten, oft Inkommensurablen; kurzum: mit einer komplexen Überlagerung unterschiedlicher Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Erlebens- und Reflexionsebenen in zeitlicher, räumlicher, sozialer, subjektiver oder materieller Hinsicht.«2


Es geht um Umbrüche, Transformationsprozesse und neue Narrative in postmodernen Zeiten, um das Verständnis der unterschiedlichen Dimensionen von Kopräsenz zu wecken: unterschieden werden zeitliche, räumliche, soziale, subjektive und materiale Kopräsenzen. Diese werden in unterschiedlichsten Feldern mit Gewinn durchgespielt. Dabei ist die Unterscheidung in fünf Kategorien nicht zwingend. Modulartig könnten weitere Kategorien ergänzt werden.
Pars pro toto soll an dieser Stelle das Theater in den Fokus gerückt werden – von Aischylos bis Jelinek, von Homer bis Casablanca, zumal im Theatralischen die Kopräsenz schon lange eine Rolle spielt – beginnend bei den Hekitiden.

1 Brodowski, Dominik u.a. (Hg.): Kopräsenz denken! Ein Aufsatz für die interdisziplinäre Fluchtforschung. In: KulturPoetik 2/2022, S. 258-292, 259.
2 Brodowski, Dominik u.a.: Kopräsenz denken! Ein Aufsatz für die interdisziplinäre Fluchtforschung, S. 264.

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Mengdan Cheng: Metamorphosen der Frauen. Zum Krank-Sein und Untot-Sein in Elfriede Jelineks Theaterstück „Krankheit oder Moderne Frauen“

Als eine der weltweit bedeutendsten Dramatikerinnen hat Elfriede Jelinek in dem Essay Ich will kein Theater (1989) ihre Theaterästhetik erläutert: „Es ist eine gewisse Lebensfeindlichkeit, die mich zum Theater gebracht hat. Den Wunsch, Leben zu erzeugen auf dem Theater, der fast alle Schriftsteller angezogen hat, lehne ich ab. Ich will genau das Engegengesetzte: Unbelebtes erzeugen. Ich will dem Theater das Leben austreiben. Ich will kein Theater.“1
Aus der Lebensfeindlichkeit stellt Jelinek das Unbelebte auf, nämlich das Untote. Das Untote als ein Dazwischensein erscheint unlebendig und unsterblich. Vom Zombiemotiv in „DER FREMDE! störenfried der ruhe eines Sommerabends der ruhe eines friedhofs“ (1969), der Popanze in „Der Tod und das Mädchen I (Schneewittchen)“ bis zu dem sich im Todesreich befindenden Schatten in „Schatten (Eurydike sagt)“ (2012) steht das Untote immer im Vordergrund ihres Schreibens und stellt sich als verschiedene Gestalten dar. Im Jahre 1987 hat Elfriede Jelinek das Theaterstück „Krankheit oder Moderne Frauen“ veröffentlicht. In diesem geht es vor allem um die beiden weiblichen Figuren, Emily und Carmilla, als Figuration des Untoten, des den Tod voraussetzenden Nachlebenden, nämlich als Vampirinnen. Der Großteil der bisherigen Sekundärliteratur, in der „Krankheit oder Moderne Frauen“ im Zentrum steht, legt den Fokus vor allem auf das weibliche Untote. Auch in der folgenden Analyse von Mengdan Cheng wird das Untot-Sein von weiblichen Figuren thematisiert. Dabei geht es jedoch vor allem um die Unumstößlichkeit der dichotomischen patriarchalischen Gesellschaftsordnung, das Untot-Sein als Parodie der Schöpfung sowie das Doppelgeschöpf als Parodie auf Mythologie.

1 Roeder, Anke (Hg.): Autorinnen: Herausforderungen an das Theater. Frankfurt am Main: suhrkamp 1989, S. 153.

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Moritz Kai Andreas: Poetologie eines scheiternden Schreibens? Karl Marx Kritik der politischen Ökonomie in „rein Gold. ein bühnenessay“

Beinahe jeder Satz in Elfriede Jelineks „rein Gold. ein bühnenessay“ scheint ein Urteil auszusprechen. Scheinbar kein Satz kann dabei auf sein Urteil, seinen Gegenstand oder das Subjekt, das ihn formuliert, festgelegt werden. Das weiß der Text und zeigt, dass er es weiß: Als Kunstwerk ist ihm das begriffliche Denken nicht unmittelbar eigen. Durch den paratextuell vertretenen essayistischen Anspruch wird es gleichzeitig betont. Mit jedem Satz legt der Text Steine in den Weg, die sich nach und nach zu einem unüberwindbaren Berg anhäufen. Bereits diese erste Annäherung an die Schwierigkeit des Texts verweist auf ein Kunstwerk, das zu seinen Gegenständen in Beziehung tritt, indem es zu ihnen im Widerspruch steht. Fraglich ist, inwiefern dieses Verhältnis sich aus zum Kunstwerk Heterogenen bildet, aber auch, ob sich in dieser diskursiven Zusammensetzung von heterogenem ein dem Kunstwerk eingelagerter homogener Gehalt ausmachen lässt. Die Frage, die die folgende Analyse an den Text stellt, ist, wie sich das Kunstwerk zu den gesellschaftlichen Verhältnissen verhält, die den Steinbruch darstellen, aus dem die Sätze als „Trümmer der Empirie“1 rollen: inwiefern also die Schwierigkeit des Texts eine Schwierigkeit der Gegenstände des Texts und damit des Schreibens selbst ist.

Die Steine oder eher: die Steinbrocken, lassen sich nicht aus dem Weg räumen, nicht über- oder zerlesen und schon gar nicht ignorieren, wodurch sie sich unbemerkt erst recht zu unüberwindbaren Klötzen versammeln. Dagegen lässt sich genetisch hinter sie zurückgehen, sodass sie zum Teil auf ihre gemeinsamen Zusammenhänge zurückzubeziehen und -datieren sind. Und zwar zunächst ohne jede Schwierigkeit. Jelinek hat, wie sie dieses Verfahren in einem Gespräch 1993 bezeichnete, ihre „Quellen gelüftet“:2 Darunter fällt neben der paratextuell bereits angekündigten Oper „Richard Wagner[s]: Der Ring der Nibelungen“ auch „Karl Marx: Das Kapital“ und „Karl Marx und Friedrich Engels: Das kommunistische Manifest“. Die hier fehlende Angabe der Erscheinungsjahre lässt bereits auf dieser ersten, oberflächlichen Ebenen einen Zusammenhang durchscheinen: Der Arbeitsprozess Wagners (1813-1883) an „Der Ring des Nibelungen“ begann 1848 in Dresden und zog sich bis November 1874 beziehungsweise 1876 mit dessen Erstaufführung in Bayreuth.3 Indes wurden Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) im Dezember 1847 durch den Bund der Kommunisten mit der „Abfassung eines […] Parteiprogramms“4 beauftragt, das sie im Januar 1848 fertiggestellt hatten, und das bis März in London gedruckt werden sollte, bevor es seine Rolle in den Revolutionen von 1848 spielen sollte. Beinahe zwanzig Jahre später erschien 1867 die erste Auflage von „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“.5 Ist in einem ersten Schritt die Genese dieser Prätexte beschrieben, lässt sich in einem zweiten deren gemeinsame Konstellation im Text auf den ästhetischen Charakter der Aktualisierung, die sie in dieser neuen Zusammensetzung ihrer historisch gewordenen Fragmente erfahren, abklopfen.

1 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. In: Tiedemann, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019, S. 254.

2 Jelinek, Elfriede / Berka, Sigrid: Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek. In: Modern Austrian Literature 26/1993, S. 127-155. S. 131.

3 vgl. Haymes, Edward: Wagner’s Ring in 1848. New Translations of The Nibelung Myth and Siegfried’s Death. New York: Camden House 2010. S. 2.

4 Marx, Karl / Engels, Friedrich: Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872. In: Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.): Marx-Engels-Werke. Berlin: Dietz Verlag 1974. S. 573-774. S. 573.

5 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. In: Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.): Marx-Engels-Werke. Berlin: Dietz Verlag 1962.

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