Armin König: Kopräsenz der Flucht im politischen Literatur-, Bühnen-, und Film-Theater denken – Von Aischylos bis Jelinek, von Homer bis Casablanca

Kopräsenz verspricht nicht nur als Konzept für Flucht- und Film- und Theatergeschichten wichtige Erkenntnisse. Erving GOFFMAN (1971) hat den Begriff eingeführt, der seither in Psychologie, Pädagogik, der Philosophie, der interdisziplinären Wahrnehmungsforschung und der Sportwissenschaft eine erstaunliche Karriere gemacht hat.
BRODOWSKI et al. (2002) haben mit ihrer Studie nicht nur die Grundlage für die Ringvorlesung gelegt, denn alle Lehrenden haben sich darauf bezogen. Das mehrschichtige Konzept setzt auf Pluralität und Anschlussfähigkeit und bricht mit Integrations- und Homogenitätsvorstellungen einer traditionellen deutschen »Leitkultur«-Ideologie. Gleichzeitig gilt es, »Migration als konstituierendes Element der heutigen europäischen Gesellschaften zu akzeptieren«1, was aber in der aktuellen deutschen und europäischen Politik derzeit offenkundig abgelehnt wird. Kopräsenzen der Flucht sind ein Kontrastprogramm zur aktuellen Politik. Diese hat Migration als Bedrohung der Einheimischen konstituiert. Deshalb muss Reaktanz immer mitbedacht werden. Dabei ist die Situation sehr komplex:

»Flucht geht fast immer mit dem Erleben existenzieller Bedrohung, mit Erfahrungen des Brüchigen, Plötzlichen, Gewaltsamen, Provisorischen und Unabgeschlossenen einher, mit der Fragmentierung oder Erschütterung von bestehenden wie auf die Zukunft gerichteten Lebensentwürfen und mit der Gleichzeitigkeit des Disparaten, oft Inkommensurablen; kurzum: mit einer komplexen Überlagerung unterschiedlicher Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Erlebens- und Reflexionsebenen in zeitlicher, räumlicher, sozialer, subjektiver oder materieller Hinsicht.«2


Es geht um Umbrüche, Transformationsprozesse und neue Narrative in postmodernen Zeiten, um das Verständnis der unterschiedlichen Dimensionen von Kopräsenz zu wecken: unterschieden werden zeitliche, räumliche, soziale, subjektive und materiale Kopräsenzen. Diese werden in unterschiedlichsten Feldern mit Gewinn durchgespielt. Dabei ist die Unterscheidung in fünf Kategorien nicht zwingend. Modulartig könnten weitere Kategorien ergänzt werden.
Pars pro toto soll an dieser Stelle das Theater in den Fokus gerückt werden – von Aischylos bis Jelinek, von Homer bis Casablanca, zumal im Theatralischen die Kopräsenz schon lange eine Rolle spielt – beginnend bei den Hekitiden.

1 Brodowski, Dominik u.a. (Hg.): Kopräsenz denken! Ein Aufsatz für die interdisziplinäre Fluchtforschung. In: KulturPoetik 2/2022, S. 258-292, 259.
2 Brodowski, Dominik u.a.: Kopräsenz denken! Ein Aufsatz für die interdisziplinäre Fluchtforschung, S. 264.

PDF-Download des Beitrags

Mengdan Cheng: Metamorphosen der Frauen. Zum Krank-Sein und Untot-Sein in Elfriede Jelineks Theaterstück „Krankheit oder Moderne Frauen“

Als eine der weltweit bedeutendsten Dramatikerinnen hat Elfriede Jelinek in dem Essay Ich will kein Theater (1989) ihre Theaterästhetik erläutert: „Es ist eine gewisse Lebensfeindlichkeit, die mich zum Theater gebracht hat. Den Wunsch, Leben zu erzeugen auf dem Theater, der fast alle Schriftsteller angezogen hat, lehne ich ab. Ich will genau das Engegengesetzte: Unbelebtes erzeugen. Ich will dem Theater das Leben austreiben. Ich will kein Theater.“1
Aus der Lebensfeindlichkeit stellt Jelinek das Unbelebte auf, nämlich das Untote. Das Untote als ein Dazwischensein erscheint unlebendig und unsterblich. Vom Zombiemotiv in „DER FREMDE! störenfried der ruhe eines Sommerabends der ruhe eines friedhofs“ (1969), der Popanze in „Der Tod und das Mädchen I (Schneewittchen)“ bis zu dem sich im Todesreich befindenden Schatten in „Schatten (Eurydike sagt)“ (2012) steht das Untote immer im Vordergrund ihres Schreibens und stellt sich als verschiedene Gestalten dar. Im Jahre 1987 hat Elfriede Jelinek das Theaterstück „Krankheit oder Moderne Frauen“ veröffentlicht. In diesem geht es vor allem um die beiden weiblichen Figuren, Emily und Carmilla, als Figuration des Untoten, des den Tod voraussetzenden Nachlebenden, nämlich als Vampirinnen. Der Großteil der bisherigen Sekundärliteratur, in der „Krankheit oder Moderne Frauen“ im Zentrum steht, legt den Fokus vor allem auf das weibliche Untote. Auch in der folgenden Analyse von Mengdan Cheng wird das Untot-Sein von weiblichen Figuren thematisiert. Dabei geht es jedoch vor allem um die Unumstößlichkeit der dichotomischen patriarchalischen Gesellschaftsordnung, das Untot-Sein als Parodie der Schöpfung sowie das Doppelgeschöpf als Parodie auf Mythologie.

1 Roeder, Anke (Hg.): Autorinnen: Herausforderungen an das Theater. Frankfurt am Main: suhrkamp 1989, S. 153.

PDF-Download des Beitrags

Moritz Kai Andreas: Poetologie eines scheiternden Schreibens? Karl Marx Kritik der politischen Ökonomie in „rein Gold. ein bühnenessay“

Beinahe jeder Satz in Elfriede Jelineks „rein Gold. ein bühnenessay“ scheint ein Urteil auszusprechen. Scheinbar kein Satz kann dabei auf sein Urteil, seinen Gegenstand oder das Subjekt, das ihn formuliert, festgelegt werden. Das weiß der Text und zeigt, dass er es weiß: Als Kunstwerk ist ihm das begriffliche Denken nicht unmittelbar eigen. Durch den paratextuell vertretenen essayistischen Anspruch wird es gleichzeitig betont. Mit jedem Satz legt der Text Steine in den Weg, die sich nach und nach zu einem unüberwindbaren Berg anhäufen. Bereits diese erste Annäherung an die Schwierigkeit des Texts verweist auf ein Kunstwerk, das zu seinen Gegenständen in Beziehung tritt, indem es zu ihnen im Widerspruch steht. Fraglich ist, inwiefern dieses Verhältnis sich aus zum Kunstwerk Heterogenen bildet, aber auch, ob sich in dieser diskursiven Zusammensetzung von heterogenem ein dem Kunstwerk eingelagerter homogener Gehalt ausmachen lässt. Die Frage, die die folgende Analyse an den Text stellt, ist, wie sich das Kunstwerk zu den gesellschaftlichen Verhältnissen verhält, die den Steinbruch darstellen, aus dem die Sätze als „Trümmer der Empirie“1 rollen: inwiefern also die Schwierigkeit des Texts eine Schwierigkeit der Gegenstände des Texts und damit des Schreibens selbst ist.

Die Steine oder eher: die Steinbrocken, lassen sich nicht aus dem Weg räumen, nicht über- oder zerlesen und schon gar nicht ignorieren, wodurch sie sich unbemerkt erst recht zu unüberwindbaren Klötzen versammeln. Dagegen lässt sich genetisch hinter sie zurückgehen, sodass sie zum Teil auf ihre gemeinsamen Zusammenhänge zurückzubeziehen und -datieren sind. Und zwar zunächst ohne jede Schwierigkeit. Jelinek hat, wie sie dieses Verfahren in einem Gespräch 1993 bezeichnete, ihre „Quellen gelüftet“:2 Darunter fällt neben der paratextuell bereits angekündigten Oper „Richard Wagner[s]: Der Ring der Nibelungen“ auch „Karl Marx: Das Kapital“ und „Karl Marx und Friedrich Engels: Das kommunistische Manifest“. Die hier fehlende Angabe der Erscheinungsjahre lässt bereits auf dieser ersten, oberflächlichen Ebenen einen Zusammenhang durchscheinen: Der Arbeitsprozess Wagners (1813-1883) an „Der Ring des Nibelungen“ begann 1848 in Dresden und zog sich bis November 1874 beziehungsweise 1876 mit dessen Erstaufführung in Bayreuth.3 Indes wurden Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) im Dezember 1847 durch den Bund der Kommunisten mit der „Abfassung eines […] Parteiprogramms“4 beauftragt, das sie im Januar 1848 fertiggestellt hatten, und das bis März in London gedruckt werden sollte, bevor es seine Rolle in den Revolutionen von 1848 spielen sollte. Beinahe zwanzig Jahre später erschien 1867 die erste Auflage von „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“.5 Ist in einem ersten Schritt die Genese dieser Prätexte beschrieben, lässt sich in einem zweiten deren gemeinsame Konstellation im Text auf den ästhetischen Charakter der Aktualisierung, die sie in dieser neuen Zusammensetzung ihrer historisch gewordenen Fragmente erfahren, abklopfen.

1 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. In: Tiedemann, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019, S. 254.

2 Jelinek, Elfriede / Berka, Sigrid: Ein Gespräch mit Elfriede Jelinek. In: Modern Austrian Literature 26/1993, S. 127-155. S. 131.

3 vgl. Haymes, Edward: Wagner’s Ring in 1848. New Translations of The Nibelung Myth and Siegfried’s Death. New York: Camden House 2010. S. 2.

4 Marx, Karl / Engels, Friedrich: Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872. In: Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.): Marx-Engels-Werke. Berlin: Dietz Verlag 1974. S. 573-774. S. 573.

5 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. In: Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.): Marx-Engels-Werke. Berlin: Dietz Verlag 1962.

PDF-Download des Beitrags

Qi LI: Autorschaft in Elfriede Jelineks Theatertext „Die Wand/Der Tod und das Mädchen V“

Was ist Autorschaft? Was macht einen Autor aus? Ist es schlicht das Schreiben von Texten, die veröffentlicht und gelesen werden, die einen Autor zum Autor machen? Noch mehr Komplexität erhält diese Frage, wenn es um Autorinnen geht. Denn diese befinden sich in einer besonderen Position, die sie oft als „die anderen“ betrachtet werden. Ihre Werke werden folglich häufig unterschätzt, ihre Autorschaft wird regelmäßig abgewertet.

Die Masterarbeit zielt darauf ab, die Autorschaft von Autorinnen zu beleuchten und legt dabei den Fokus auf österreichische Schriftstellerinnen wie Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek, sowie der englischsprachigen Autorin Sylvia Path. Sie finden ihren gemeinsamen Anküpfungspunkt im Werk „Die Wand“ von Elfriede Jelinek.

Denn trotz zahlreicher bereits existierender Forschungsbeiträge und Literatur über Jelineks Dramen und Dramolette,1 bietet das Dramolette „Die Wand“ Raum für weitere potenzielle Interpretationen. So bietet es eine gute Gelegenheit, Einblick in Jelineks Auffassung von Autorschaft zu gewinnen. Zudem stellt „Die Wand“ eine reiche Ressource dar, um die inneren Bezüge zwischen Jelinek und anderen österreichischen Autorinnen wie Ingeborg Bachmann und Marlen Haushofer zu entdecken. Weiters dient es als radikales Beispiel für metadramatische Stücke der Postmoderne, indem es ein stereotypisches Bild von Autorinnen präsentiert und die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmen lässt.

1 vgl. Janke, Pia (Hrsg.): Jelinek-Handbuch. Wien: Praesens Verlag 2013, S. 178.

PDF-Download des Beitrags

Paulina Schmid-Schutti: Metrische Resonanzen. Musikalische Variabilität und antike Metrik in Elfriede Jelineks Theaterstück „Bambiland“ (2004)

Elfriede Jelineks Schreiben gilt als eine „Nahtstelle zwischen musikalisierter Poesie und poetisiertem Klang.“1 Der Terminus ‚Musikalität‘ verweist in diesem Kontext nicht nur auf die Fähigkeit eines literarischen Textes, klangliche, rhythmische und melodische Qualitäten abzubilden, die denen musikalischer Werke analog sind; vielmehr können literarische Texte auch die Implementierung musikalischer Konzepte in die literarische Schreibweise involvieren:

„Nicht nur in Wortgefügen, in die musikalische Kompositionen, Komponisten und klangliterarische Prätexte integriert werden, bestätigt sich die enge Verzahnung von Logos und Laut, sondern auch in diversen Textsorten, die Isomorphien mit musikalischen Formen erwägen.“2

In diesem Kontext wird Jelineks Schreibweise häufig eine inhärente ‚Musikalität‘ zugeschrieben, anders gesagt: Jelineks Texten wird damit oftmals eine eigene, tiefverwurzelte ‚Musikalität‘ attestiert. Diese Außenwahrnehnumg, die – am Rande bemerkt – sogar als ausschlaggebendes Kriterium für die Vergabe des Literaturnobelpreises an Jelinek vonseiten der Schwedischen Akademie hervorgebracht worden ist, deckt sich mit Jelineks Selbstwahrnehmung: „Auch Jelinek selbst wird nicht müde, ihre Spracharbeit als Form eines kompositorischen Umgangs mit dem Wort-Material zu beschreiben und sich selbst als Komponistin zu bezeichnen.“3 Hieraus ergeben sich allerdings folgende Fragen: Wie lassen sich die subtilen und vielschichtigen Facetten von ‚Musikalität‘ innerhalb der literarischen Ästhetik adäquat fassen? In welchem Ausmaß kann die Verschmelzung von musikalischem Klang und musiktheoretischen Konzepten in der literarischen Ästhetik festgestellt werden?

1 Janke, Pia (Hg.): Jelinek-Handbuch. Stuttgart & Weimar: Metzler 2013, S. 306.
2 Ebd., S. 306.
3 Janke, Pia: Jelinek und die Musik, S. 272. http://www.elfriede-jelinekforschungszentrum.com/fileadmin/user_upload/Janke_Jelinek_und_die_Musik.pdf (25.7.2023).

PDF-Download des Beitrags

Paulina Schmid-Schutti: „Ist das jetzt ein Monolog?“. Gestaltlosigkeit als Prinzip der Figurenkontinuität in Elfriede Jelineks „Moosbrugger will nichts von sich wissen“ (2004)

Elfriede Jelineks Hörspiel Moosbrugger will nichts von sich wissen – entstanden im Zuge eines literarischen Projekts des Bayrischen Rundfunks zu Robert Musils epochalen Roman Der Mann ohne Eigenschaften – versteht sich als „eine Paraphrase auf die Figur des Mörders Moosbrugger“. Dass Jelineks Hörspiel explizit als Paraphrase tituliert wird, ist, wie Binczek konstatiert, jedoch irreführend:

„Dabei machen sowohl Jelineks Beitrag als auch der Remix [gemeint ist das literarische Projekt des Bayrischen Rundfunks; P.S.] insgesamt deutlich, dass und in welcher Weise der Bezugstext, Musils Der Mann ohne Eigenschaften, sich gerade nicht als eindeutig fixierbare und eingrenzbare Texteinheit fassen lässt. Demgegenüber erweist sich das, was von den Herausgebern als ‚Paraphrase‘, mithin als bloße ‚Nacherzählung‘ apostrophiert wird, als eine Neuerzählung […].“1

Wie Binczek betont, kann Jelineks Hörspiel – trotz der Betonung einer Paraphrase – demnach nicht als eine reine Umschreibung der Musil’schen Romanfigur Moosbrugger verstanden werden. Obwohl der Musil’sche Moosbrugger Jelinek als Ausgangspunkt dient, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass das Hörspiel thematisch auf den Ursprungstext referiert und/oder an ebendiesen anknüpft; vielmehr zeigt sich in Moosbrugger will nichts davon wissen Jelineks subversive Herangehensweise, die es ihr ermöglicht, im Sinne einer Dekonstruktion in dialogische Resonanz mit dem Ausgangstext zu treten. Hieraus ergibt sich die Frage: In welchem Maße setzt Jelinek in ihrem Hörspiel die literarische Figur Moosbrugger fort und weiter? Welche Parallelen können in der Figurengestaltung zwischen Musils und Jelineks Moosbrugger gezogen werden?

1 Natalie Binczek: Einen Text ‚zu umschneiden und von seiner Unterlage abzupräparieren‘. Elfriede Jelineks „Moosbrugger will nichts von sich wissen“. In: Natalie Binczek & Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Das Hörbuch. Praktiken audioliteralen Schreibens und Verstehens. München: Fink 2014, S. 157-178, S. 158.

PDF-Download des Beitrags

Anna Rottenfußer: Hörendes Schreiben – Singendes Lesen? Sprachmusik in Elfriede Jelineks Winterreise

Unmöglich ist es, beim Lesen von Elfriede Jelineks Winterreise nicht automatisch die Melodien Franz Schuberts aus dem gleichnamigen Liedzyklus im Kopf mitzuhören. Dies kann auf den ersten Blick ausschließlich an den intertextuellen Bezügen zu Wilhelm Müllers Gedichten der Winterreise liegen, die dieses „hörende Lesen“ assoziativ bedingen. Andererseits kann noch eine weitere Komponente aus dem Textmaterial Jelineks, ihre Schreibweise, den Bezug zu Schuberts Kompositionen herstellen. Es scheint daher lohnenswert, sich mit der besonderen Sprachmusik von Jelineks Winterreise zu befassen und zu untersuchen, inwiefern diese Schuberts Vertonungen imitiert. Eine große Herausforderung ist die Festlegung der Arbeitsbegriffe und der Methodik, da es sich bei Musik und Text um voneinander getrennte Disziplinen handelt, mit ihnen jeweils eignen Arbeitsweisen und Vokabular. Eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten einer derartigen musikwissenschaftlichen Analyse von Sprache zeigt auch deren Grenzen, etwa im Bereich der Sprachmelodie auf. Sie weist aber auch auf das große Potenzial einiger Parameter für das Verständnis des Klangs von Jelineks Texten hin, wie etwa der Begriffe aus der Orgelliteratur. Es lässt sich ein Zugang zur allgemeinen Klanglichkeit von Jelineks Text finden sowie ein Eindruck ihrer kompositorischen Schreibweise. Ein derart musikalisch-, kompositorischer Schreibprozess erfüllt eine bestimmte Funktion. Sprachmusik entfaltet subversive Kraft und unterstützt als zusätzlich generierte „Stimme“ Aussagen des Texts Jelineks. Der Eindruck der „Singbarkeit“, der beim Lesen der Winterreise entsteht, ist irreführend. Durch die Konkretisierung des musikalischen Ausdrucks in der Vertonung, ginge die Variabilität der Sprache als Klangmaterial verloren.

PDF-Beitrag zum Download

Alexandra Hiebler: Die geschundene Musikerin und die geschundene Frau in Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“

Elfriede Jelinek zeichnet in ihrem Roman Die Klavierspielerin eine Gegenwart der Gesellschaft und insbesondere der musikalischen Disziplin, in der das Weibliche nicht bestehen kann. Mit ihrer Protagonistin Erika Kohut verfolgt die Autorin nicht das Ziel, ein tragisches Einzelschicksal darzustellen, sondern das Scheitern im patriarchalen System an einer prototypischen Figur zu zeigen. Jelinek baut über den Roman hinweg das Bild einer geschundenen Musikerin und Frau auf, welches durch das Ende des Romans verdichtet wird und noch nach der Lektüre nachwirkt. Von dieser Leseerfahrung ausgehend, wird mit der vorliegenden Arbeit versucht, die Strategie des Texts aufzuspüren, die eben dieses Bild der Protagonistin schafft. Die Musik fungiert in Jelineks Roman nicht nur als Kontext von Unterdrückung und Gewalt, sondern trägt mit ihren Strukturen  zu deren Entstehung und Erhalt bei und bildet damit das Bezugssystem der Analyse. Das Scheitern weiblicher Emanzipation in der Musik, aber auch im patriarchal geprägten System, das den gesamten Roman durchzieht, wird in der Vergewaltigung verdichtet und Erika Kohut wird zum Sinnbild der geschundenen Künstlerin und Frau. Der Roman schließt mit seinem Ende wieder am Anfang an und lässt damit eine Protagonistin ohne Entwicklung zurück, die die Unmöglichkeit der Weiblichkeit im Patriarchat verdeutlicht.

PDF-Download der Arbeit

Andreas Wilhelm Geis: Sweet Amaryllis

für den Nachwuchsworkshop 2022

Im Rahmen meines Studiums der angewandten Dramaturgie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, beschäftige ich mich derzeit sehr intensiv mit der szenischen Umsetzung dramaturgischen Handelns, bezugnehmend auf die Topografie eines Ortes in der Wiener Innenstadt. Ein Ort, an dem seit 23 Jahren diese dramaturgischen Handlungen tatsächlich nahezu täglich stattfinden.

Die dort entstandenen szenischen Umsetzungen folgen alle einem Narrativ zum Teil erfundener oder bereits vorhandener Texte und Geschichten. Einer der letzten Texte, die ich verwendet habe, war das Gedicht „DIES DIES DIES DIESES ENTZÜCKEN ICH KLEBE AN AN DIESER ERDE“ von Friederike Mayröcker.

Bei einer Recherche bin ich auf Elfriede Jelineks frühes Gedicht „Sweet Amaryllis“ gestossen, ein lyrischer Text der mich mit seiner – für mich ungewöhnlich zeichenhaften Sprache – nahezu sofort dazu aufgefordert hat, Bilder zu entwickeln. Vergleiche ich diese beiden Texte, so verbindet sie eine existenzielle und symbolhafte Sprache, die, obwohl zum Teil ähnliche Bilder verwendet werden, in Tempo, Rhythmus als auch in ihrem Bestreben, innerste Gefühle herauszuschreien, völlig unterschiedliche Emotionen transportieren.

„Sweet Amaryllis“ könnte für mich ein Verlassen der genannten Verortung sowie  eine dimensionale Erweiterung der szenischen sowie der ästhetischen Umsetzung bedeuten.

Beitrag zum Download als PDF

Informationen zu Andreas Wilhelm Geis

Marie Fortuit, Rachel de Dardel und Floriane Comméléran: Ombre (Eurydice Parle)

für den Nachwuchsworkshop 2022

Depuis le Royaume des Morts où la morsure d’un serpent l’a conduite et où Orphée l’a condamnée à vivre, il s’agit d’écouter Eurydice donc. Ecouter la voix, la profération, l’incantation que lui prodigue l’écriture vibrante de Jelinek. Prêter oreille à son souffle de femme paradoxalement enfin libérée d’un amour pour Orphée qui s’avère aussi astreignant qu’éreintant, l’observer commencer une vie dans l’ombre, une existence qui est de façon radicale une existence nouvelle. Envisager sa descente aux enfers comme une éclatante libération, l’émancipation incontestée d’une parole créatrice et féministe, assister à la (re)naissance d’une poétesse.
Qu’on se le dise, chez Jelinek, Eurydice était loin d’être heureuse avec Orphée. Elle était assujettie à une vision édulcorée et patriarcale de l’amour romantique, arrimée à son apparence terrestre et à ses fringales de shopping, dévouée à l’avènement du génie masculin de son sérial-rockeur d’amant. Dépouillée de tout, étrangement soulagée de laisser Orphée remonter vers les lumières des villes et des scènes, Eurydice peut alors s’autoriser le luxe de ne plus être que « rien » et donc d’affirmer « je suis ». Assertion bouleversante qui est au coeur de mon geste de mise en scène. Il s’agit pour moi d’inverser le topos de la complainte de l’éternelle abandonnée, de prendre à rebours le chant d’Orphée, de sublimer le paradoxe : Eurydice esseulée parmi les ombres est une femme qui, pour la première fois, agit. Nous sommes au coeur de la « chambre à soi » woolfienne re-interprété par Jelinek : l’obscure solitude, le détachement des dominations, devient par essence le lieu du déploiement du cri lyrique féminin.
Un royaume des ombres qui fait écho aux enjeux qui ont habité Jelinek, « la sauvage », toute sa vie. L’écrivaine vit aujourd’hui presque retirée du monde, ne communiquant que par son site internet et lors de très rares interviews. Eurydice et Jelinek semblent déployer une vibration commune. Comme Christine Lecerf l’évoque dans son article paru dans le quotidien Le Monde en 2016 : « ce qui demeure intact et sans bornes, c’est la colère d’Elfriede Jelinek. La violence faite aux femmes, les structures inviolables de leur domination sociale, politique et artistique, l’asservissement du corps, le mépris de la pensée, l’interdit de création, rien ne change sur ce terrain-là, et ça rend dingue. »
C’est donc un cri du coeur aussi intime que politique que portent de concert Eurydice et Jelinek, et c’est cette parole aussi rare que précieuse qu’il s’agit de faire résonner au plateau.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Floriane Comméléran
Informationen zu Rachel de Dardel
Informationen zu Marie Fortuit