Teresa Kovacs: Drama als Störung. Elfriede Jelineks Konzept des Sekundärdramas

Dissertation

Abstract

Elfriede Jelinek veröffentlichte 2010 auf ihrer Homepage den kurzen Essay Anmerkung zum Sekundärdrama, in dem sie auf ihre neu entwickelten Textform des Sekundärdramas eingeht und deren zentrale Charakteristika beschreibt. Bislang verfasste Jelinek zwei Sekundärdramen: Abraumhalde (2009) zu Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise und FaustIn and out (2011) zu Johann Wolfgang von Goethes Urfaust. Jelineks Sekundärdramen stellen in doppelter Hinsicht Bezug zu den Primärtexten her, indem sie einerseits Zitate daraus aufgreifen und andererseits an die Vorlagen gebunden sind, d.h. nur gemeinsam mit diesen inszeniert werden sollen.

Bis jetzt fehlt eine umfangreiche wissenschaftliche Analyse der Sekundärdramen. Daher ist es Anliegen des Dissertationsprojekts, die Besonderheiten dieser Textform erstmals wissenschaftlich zu untersuchen. Ausgehend von Jelineks Theatertexten Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften (1979), Präsident Abendwind (1988), Raststätte oder Sie machens alle (1994) und Ulrike Maria Stuart (2006), in denen sie sich ebenfalls deutlich auf eine Vorlage bezieht, soll die Genese des Sekundärdramas innerhalb von Jelineks dramatischem Werk nachvollzogen werden. Dafür wird an die bereits bestehende Forschungsliteratur zu Jelineks intertextuellem Schreibverfahren und zu ihrer Dramenästhetik angeknüpft, um in der Folge die Besonderheiten des Sekundärdramas zu beschreiben. Der Fokus liegt dabei auf der speziellen Form der Realisierung, die Jelinek für die Sekundärdramen festlegt, da durch die Bindung der Texte an die Vorlagen eine neue Form der Intertextualität entsteht, die die Sekundärdramen von den übrigen Theatertexten Jelineks unterscheiden. Grundannahme ist, dass durch die parallele Inszenierung die Grenzen zwischen Primär- und Sekundärdrama aufgelöst werden. Dadurch kann das Sekundärdrama stärker als jede andere Form der Bearbeitung auf den Primärtext einwirken und in diesen eingreifen. Beide Sekundärdramen, die wie alle Theatertexte Jelineks durch ein intertextuelles Schreibverfahren geprägt sind und keine Figuren oder geschlossene Handlung aufweisen, machen die verdrängten weiblichen Stimmen hörbar, die bei Lessing und Goethe zum Verstummen gebracht wurden. Durch das Eindringen dieser nicht-mehr-dramatischen Texte in die Primärdramen werden die klassische Ästhetik und die humanistischen Inhalte der Vorlagen nachhaltig gestört und deren Funktion für die patriarchale Machtsicherung sichtbar gemacht.

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