Wieder einmal eine Musiklehrerin, wieder einmal Elfriede Jelinek. Unter dem schlichten Titel Neid lässt sie in ihrem neusten Text die Frauenpositionen zirkulieren, oder besser gesagt, die Zeichen für Frauen. Die Autorin selbst zirkuliert gleich mit: zwischen anderen Jelinek-Texten, deren Kontexten, Inszenierungen zum Beispiel. Da taucht „Brigitte“ auf, die Jelinek-Leser/innen aus ihren Liebhaberinnen (1975) kennen. Damals lieferten sich „Brigitte“ und „Susi“ erbitterte Kämpfe um das Privileg, wer die Schnitzel für „Heinz“ backen durfte, und „Brigitte“ versuchte durch Knie-fallendes Klo-Putzen ihren Tauschwert als Braut zu demonstrieren. Heute, in Neid, ist Brigitte geschieden und beglückt Kinder mit Geigenunterricht, Musiklehrerein so wie „Erika“, die Klavierspielerin (1997).
Neid trägt traditionelle Frauenbilder (und die Kritik daran) in sich. In diesem Text führt Elfriede Jelinek darüber hinaus die Dekonstruktionen binärer Zweigeschlechtlichkeit fort, die in ihrem Theatertext Ein Sportstück (1998) bereits angelegt war und in Nicolas Stemanns Ulrike Maria Stuart-Inszenierung (Thalia Theater, 2006) fortgesetzt wird. Zeichen für Weiblichkeit werden von Körperbildern losgelöst, die mit sich selbst und mit einem Geschlecht identisch und dem männlichen entgegen gesetzt erscheinen: Die „Frau“ trägt Brüste als Rucksack umgeschnallt, die „Prinzen“ tragen Frauenkleider und piepsen mit hohen Stimmen. Die Auflösung von Zweigeschlechtlichkeit wird jedoch nicht nur auf der Ebene der Körperbilder ironisch vorgeführt, sondern in Neid auch als erkenntnistheoretisches Problem angesprochen: Wie kann man etwas erkennen, das man nicht bereits vorher sieht? Sprich: Wie kann man eine Vorstellung von einer „anderen“ Geschlechter(un)ordnung entwickeln, die nicht auf bereits Bekanntes (i.e. Zweigeschlechtlichkeit) rekurriert? Diese Frage wird nicht explizit beantwortet, sondern – so meine These – in der Form der Veröffentlichung von Neid virulent gehalten. Die Ökonomie der Repräsentation steht bekanntlich in engem Zusammenhang mit der Ökonomie der Zeichen: Beide sehen eine binäre Ordnung von Männlich/Weiblich, Null und Eins vor (darauf hat Jean Baudrillard bereits in den 1980er Jahren hingewiesen). Während die Liebhaberinnen und die Klavierspielerin in Buchform, berührbar und blätterbar gegossen sind, existiert Neid wie schon Jelineks letzter Text, Ulrike Maria Stuart (2006), bislang nur als Netzpublikation. Während Jelinek Ulrike Maria Stuart nach drei Tagen von ihrer Homepage nahm (seitdem zirkuliert der Text halb-öffentlich unter Theaterleuten und Wissenschaftler/innen), ist Neid permanent auf Jelineks Homepage zugänglich. Die Veröffentlichungsform von Neid verweist durch ihre Virtualität permanent auf den Zusammenhang von Zeichen, Inhalten, Körper und Begehrensstrukturen. Neid stellt daher eine Fortsetzung jelinekscher Praktiken und einen Paradigmenwechsel auf zwei Ebenen dar: Einen Paradigmenwechsel von Zweigeschlechtlichkeit zu ihrer Problematisierung und einen vom Buchdruck (und Theateraufführung) zu virtueller Zirkulation von Texten. Beides, so meine These, ist auch an der Veränderung der Präsenz der „Autorin“ ablesbar: Während sie in traditionellen Öffentlichkeiten immer weniger sichtbar ist, blickt sie uns 24 Stunden täglich von ihrer Homepage entgegen.
14. Mai 2007
Katharina Pewny (Graz/Hamburg), Theater-, Tanz- und Performancetheoretikerin.