Diplomarbeit
Elfriede Jelineks Texte zu lesen ist nicht möglich, ohne andere Autoren mitzulesen. In besonderem Maß trifft dies auf ihren 1988 uraufgeführten Theatertext Wolken.Heim. zu. Während Jelinek in ihren frühen Werken besonders mit Texten der Populärkultur wie Werbung, Groschenromanen und TV-Serien arbeitet, so beschäftigt sie sich zur Entstehungszeit von Wolken.Heim. vor allem mit literarischen, philosophischen und religiösen Texten. Die Autorin greift in diesem Text exzessiv auf fremdes Textmaterial zurück. Die ursprünglichen Texte überstehen diese Arbeit an der Sprache nicht unbeschadet. Durch verschiedenste Verfahrensweisen verändert Jelinek Originaltextmaterial, bevor dieses zu einem neuen Textkörper montiert oder collagiert wird. Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem amalgierten Textkörper auf der Grundlage des Werkes von Friedrich Hölderlin. Seine Lyrik macht in Wolken.Heim. den weitaus größten Teil der intertextuellen Bezüge aus – an die 50 Gedichte werden in Wolken.Heim. verarbeitet. Zudem greift die Autorin dabei am stärksten in den Ursprungstext ein, ihr „schöpferischer Verrat“ am Original ist sehr deutlich erkennbar. Jelineks Beschäftigung mit Hölderlin in Wolken.Heim. ist kein Ausnahmefall. Vor allem in den Werken Lust und Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr widmet sie sich intensiv diesem Dichter. In diesem Kontext lässt sich der folgende Ausspruch aus dem Theatertext Totenauberg lesen: „Fünf Jahre lang werde ich nicht mehr Hölderlin zitieren.“ Die Veränderungen an Hölderlins Gedichten gehen allerdings so weit, dass von ihrem ursprünglichen Gehalt fast nichts mehr übrig bleibt. Dies brachte Jelinek unter anderem den Vorwurf ein, simplifizierende Theorien über die Wegbereiterrolle des deutschen Idealismus für den Nationalsozialismus zu transportieren. Wiederholt wird in der Sekundärliteratur darauf hingewiesen, dass die Hölderlin-Forschung schon lange die Unschuld des Dichters an seiner „völkischen“ Rezeption im Dritten Reich bewiesen hat. Warum greift Jelinek dennoch vor allem auf sein Werk zurück und legt seine Worte einem nationalistischen Kollektiv in den Mund? Und was bleibt wirklich von Hölderlins Texten nach der Bearbeitung durch Jelinek? Die genaue Untersuchung der intertextuellen Verfahrensweisen, die Analyse ihrer Wirkung und die Verdeutlichung der Funktionen dieser „literarischen Transformation“ sind die Ziele dieser Arbeit.