Masterarbeit
Einleitung
2002 erschien im Berlin Verlag die Trilogie In den Alpen. Die darin enthaltenen Stücke In den Alpen, Der Tod und das Mädchen III und Das Werk sind laut Jelinek Stücke über „Natur, Technik und Arbeit“ – sie alle handeln von „Katastrophen oder dem Gegenteil von Katastrophen, dem Bau, dem Aufbau“. In dem Stück Das Werk, das Gegenstand dieser Arbeit ist, erinnert Jelinek an die schreckliche Geschichte des Kraftwerkbaus in Kaprun, bei dem zahlreiche fremde Zwangsarbeiter ums Leben kamen. Sie holt die Toten wieder aus dem Boden (oder aus dem Beton) und unternimmt so den Versuch, das unschuldige, harmonische und letztlich ahistorische Bild, das der Mythos Kaprun vermittelt, zu zerstören.
Wenn Jelinek darangeht einen Mythos zu destruieren, so verfährt sie jeweils nach einer stark intertextuellen Weise. Sie montiert respektive collagiert die unterschiedlichsten Vorlagen in ihre Texte, um diese schließlich zu dekonstruieren und so ideologiekritisch zu brechen. Dabei entstehen oftmals sehr verworrene, hermetische Diskursgeflechte, welche den Mythen gewissermaßen einen Spiegel vorhalten und diese so zu Fall bringen. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, etwas Licht in die Dunkelheit der Jelinek’schen Mythendestruktion zu bringen. Es soll der Frage nachgegangen werden, durch welche sprachlichen Verfahren Jelinek in ihrem Stück die jeweiligen Prätexte dekonstruiert und so auf eine neue kritische Bedeutungsebene verschiebt. Weiter soll deutlich gemacht werden, wie durch diese neue Bedeutungsebene der Mythos Kaprun destruiert wird.
In einem ersten Teil werden die historischen Hintergründe von Jelineks Werk herausgearbeitet. Es soll gezeigt werden, wie der Bau des Kraftwerks vonstattenging und unter welch misslichen Bedingungen die fremden Arbeiter ihr Handwerk verrichten mussten. Weiter soll erläutert werden, von welcher Bedeutung die Großbaustelle Kaprun für das gebeutelte Österreich war und wie das Tauernwerk letztlich zum sinnstiftenden Mythos der Nachkriegszeit wurde.
In einem zweiten, theoretischen Teil wird auf Roland Barthes und sein Werk die Mythen des Alltags eingegangen. Es soll deutlich gemacht werden, wie Mythen entstehen und welche Funktion ihnen als entpolitisierte und enthistorisierte Aussagen in einer Gesellschaft zukommen kann. Weiter soll gezeigt werden, dass sich Jelinek beim literarischen Schreiben oftmals in die Rolle der Barthes’schen Mythologin begibt und als solche die jeweiligen Mythen ohne utopische Perspektive destruiert.
In einem dritten, analytischen Teil soll schließlich die Mythendestruktion in Das Werk genau untersucht werden. Es gilt zu eruieren, welche Textstellen Jelinek als Vorlage dienten und mit welchen sprachlichen Verfahren beziehungsweise Strategien sie diese dekonstruiert hat. Dabei wird sich zeigen, dass sich das Korpus bei Spengler und Jünger jeweils auf einen Text beschränkt – nämlich Spenglers 1931 erschienene Schrift Der Mensch und die Technik sowie Jüngers Essay Der Arbeiter , das 1932 publiziert wurde. Was hingegen Heidegger betrifft, so bediente sich Jelinek gleich mehrerer seiner Werke. Ausgehend von seinem 1953 gehaltenen Vortrag Die Frage nach der Technik , der gewissermaßen als Grundlagetext von Das Werk betrachtet werden muss, montierte sie auch zahlreiche andere Motive, Begriffe und Aphorismen des Denkers in ihr Stück.