Wie auch Bärbel Lücke in ihrer Untersuchung Jelineks Gespenster. Grenzgänge zwischen Politik, Philosophie und Poesie pointiert hat, „persifliert, vermischt und verflechtet“ Elfriede Jelinek „Zeitgeschichtliches und Mythisches, Medial-Triviales und Philosophisches“ so dass diese zunächst zu „Motiv- und Metaphernsträngen§ und dann zu einem Gesamtkontext werden. Auch Jelineks Trilogie der ersten drei Prinzessinnendramen ist in dieser Methodik entstanden. Es geht um eine Märchenparodie, die das zyklische Opfer-Täter-Ritual in variierender dialogischer und geschlechtskodierter Form darstellt.
Mann und Frau stellen sich in ihrer sprachlichen Auseinandersetzung als Vertreter der philosophischen Allegorie des dekonstruierten geschlechtsspezifischen Bewusstseins vor. Sie verkörpern die aktive schöpferische Kraft (Mann) und den erschaffenen Gegenstand (Frau). Beide konfrontieren sich auf der Basis der revidierten Philosophie Jelineks, in der die/der Prinzessin/Prinz keine Erlösung findet.
Bei Jelinek werden Begriffe wie Leben und Tod oder so zentrale Fragen wie „kann ich Tote nicht wieder lebendig machen?“ beziehungsweise „ist dieser Gegenstand überhaupt ein Mensch oder nicht?“ nicht mehr in einen traditionellen Volksmärchenkontext eingebunden.
In Jelineks Theater wird die Gattung „Märchen“, wie sie in der Tradition der Gebrüder Grimm zu verstehen ist, durch eine moderne, gesellschaftlich ausgerichtete Religiosität ersetzt. Dies korrespondiert mit der erfolglosen menschlichen Suche nach der Wahrheit und mit dem Wunsch, alle Falschheit auszuschalten. Beide Prozesse ersetzen die traditionelle Utopie des Phantastischen und verwandeln Prinzen und Prinzessinnen, Hexen, Feen und Wald in Symbolmetaphern und Ikonen des modernen menschlichen Schlafwandlerzustandes. Die Folge ist ein ungeschlechtlicher Koma-Kampf gegen das verlorene menschliche Selbstbewusstsein. In diesem Sinne spiegeln Jelineks Prinzessinnendramen I-III das Konzept des „Fraktalisierens“.
Angesichts der intertextuellen und collageartigen Schreibtechnik Jelineks wird das neue Märchen-Konzept in Jelineks Denksystem untersucht. Karen Duves und Martin Waddells Romane Die entführte Prinzessin (2005) und Prinzessin Rosamund, die Starke (2007) werden gemeinsam mit Christoph Martin Wielands Singspiel Rosamund (1778) – mehr als die häufig untersuchten Verfilmungen der Romane von Rosamunde Pilcher – als Urquellen von Jelineks moderner Adaptierung der Volksmärchentradition betrachtet. Eine Adaptierung, die nicht nur thematisch sondern auch genrespezifisch zu verstehen ist. Sie ist zum metaphorischen Ort der Sprachinteraktion zwischen Außen und Innen, Ich und Welt, Körper und Seele geworden.