Zuzana Augustová: Schlüsselpunkte in der Entwicklung der österreichischen Nachkriegsdramatik

Habilitation (Konzept)

In meiner Habilitation verfolge ich die Schlüsselpunkte in der Entwicklung der österreichischen Nachkriegsdramatik von den 50er bis in die 90er Jahren. Meine Arbeit ist vor allem auf das sprachexperimentelle und sprachkritische Schaffen österreichischer Dramatiker/Innen dieser Zeit orientiert. Bei ausgewählten Autoren/Innen wie Elfriede Jelinek und Werner Schwab, die am wesentlichsten mit Stilisierung und Deformation der Sprache arbeiten, um sie gleichzeitig zu thematisieren, wird die Analyse bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts übergreifen.
In meiner Dissertation, die als Buch im Jahre 2003 unter dem Titel Thomas Bernhard (Verlag Větrné mlýny, Brünn 2003) erschien, habe ich mich mit dem dramatischen Werk von Thomas Bernhard beschäftigt. Schon in meiner Dissertation habe ich mich dem Kontext der zeitgenössischen österreichischen Dramatik seit den 60er, bzw. 50er Jahren gewidmet. Im dramatischen Werk von Thomas Bernhard habe ich Zusammenhänge nicht nur mit der europäischen sowie österreichischen modernen Dramenentwicklung entdecket, sondern auch Beziehungen zum Schaffen seiner österreichischen Zeitgenossen erforscht. In einem komparativen Teil meiner Dissertation habe ich einzelne stilistische und thematische Linien der österreichischen Nachkriegsdramatik definiert und das Schreiben für Theater bei ausgewählten Autoren/Innen in Bezug auf diese Linien analysiert. Die Hauptlinien habe ich folgenderweise definiert: 1) Experimentelles Schaffen (Wiener Gruppe, Wiener Aktionismus, Forum Stadtpark und Grazer Gruppe); 2) Ästhetik der Drastik und des Schocks – Das neue Volksstück und das bürgerliche Schock-Theater; 3) Sprachkritik.
In meiner Habilitation möchte ich mit der Analyse vom Werk konkreter Autoren/Innen, die man unter diese formalen wie thematischen Linien einreihen kann, fortsetzen.
Im letzten Jahr habe ich ein Kapitel über die österreichische Nachkriegskulturpolitik (kürzere und längere Version) und ein breiteres Kapitel über die österreichische Avantgarde aufgeschrieben. In dem schon vorhandenen Kapitel analysiere ich dramatische Texte von Mitgliedern der Wiener Gruppe und stelle sie in den Zusammenhang mit literarischen cabareten der Wiener Gruppe und weiteren happeningartigen Aktionen, welche sie dann in den 60er Jahren zusammen mit Wiener Aktionisten realisierten. In Aktionen, Happenings, Theatertexten und Theaterszenarien der Wiener Gruppe (H. C. Artmann, G. Rühm, K. Bayer, O. Wiener) fangen alle wesentlichen Tendenzen der österreichischen Dramatik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an:
Die Wiener Gruppe beschäftigt sich theoretisch und praktisch mit der Beziehung der Sprache zur Wirklichkeit (inspiriert durch die Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins). Die Autoren experimentieren mit der Sprache: Sie arbeiten mit verschiedenen Varianten vom Dialekt als Verfremdungsmittel, mit Mitteln der konkreten und graphischen Poesie, mit der Montage, dem Kalauer, dem surrealem Wortspiel, mit Zitaten, mit destruierter Sprache, erfundener Fantasiesprache oder verfassen wortlose Szenarien mit detaillierten Bühnenanweisungen.
In den Texten der Wiener Gruppe-Autoren ist die Wortlosigkeit sehr stark mit dem Motiv der brachialen physischen Gewalt verbunden. Beide Motive korrespondieren mit der indirekten Kritik der Nazizeit und europäischer Zivilisation und traditioneller deutscher und österreichischer Kultur, die nicht imstande waren, den Holocaust zu verhindern. Gleichzeitig ist in ihren Aktionen und Texten heftige Aggression und Kritik gegenüber dem Publikum (einige Jahre vor Handkes Publikumsbeschimpfung und dem Grazer Forum Stadtpark) als Repräsentanten der konservativen österreichischen Nachkriegsgesellschaft anwesend.
Ein weiteres Kapitel wird sich mit den Experimentellen Theaterstücken und Hörspielen von Ernst Jandl beschäftigen, der seit den 60er Jahren parallel mit Autoren der Wiener Gruppe (H.C. Artmann oder Gerhard Rühm) geschrieben hat, aber sein Experiment mit der Sprache eine mehr direkte gesellschaftskritische Botschaft trug. Seine formalen Experimente drücken politische und existentielle Themen aus. Jandl meidet eine konsequente Aussage nicht, wenn auch unter Benutzung einer deformierten Sprache. Er spielt mit traditionellen dramatischen Ausdrucksmitteln und Kategorien und gleichzeitig weiß er seine dramatischen Parabollen und Gleichnisse des menschlichen Lebens zu benutzen.
Seit den 60er Jahren wirkte in Graz ein progressiver Künstlerverband unter dem Namen Forum Stadtpark oder die Grazer Gruppe. Künstler aus verschiedenen künstlerischen Bereichen wollten gegen die konservative Gesellschaft und traditionelle Kultur auftretten. Dazu diente ihnen die Ästhetik der Drastik und des Schocks. Unter diesen Begriff kann man das neue Volksstück von Peter Turrini und das bürgerliche Schock-Theater von Wolfgang Bauer reihen.
Peter Turrini arbeitet in seinem kritischen Volksstück mit dem Dialekt, das thementragend funktioniert, im ähnlichen Sinne also wie die Wiener Gruppe oder Ernst Jandl. Turrini rechnet bewusst mit dem Schock-Effekt, dessen Wirkung er gegen das Publikum richtet. Und umgekehrt: die Reaktion des Publikums gehört nach Turrinis Meinung zum Werk selbst.
Wolfgang Bauer komponiert tabubrechende Schocks in sein Post-Bürgerliches Drama der alltäglichen Grausamkeit ein. Daneben experimentiert in den 60er Jahren Peter Handke in Graz mit der Sprache in seinen Sprechstücken, in denen er die Beziehung zwischen dem Individuum, der Sprache und der Wirklichkeit erforscht, genauso wie die Anpassungszwänge, die die Gesellschaft gegen das Individuum durch die Sprache ausübt.
Eine weitere Linie stellt die Sprachkritik im zeitgenössischen österreichischen Drama dar. Zu dieser Linie reihe ich die Sprechstücke von Peter Handke aus den 60er Jahren. In seinem späteren dramatischen Werk bemüht er sich darum, eine selbstreferenzielle, nichtmimetische Realität durch die Sprache zu bilden.
Elfriede Jelinek und Werner Schwab haben in ihren Dramen die Sprache und das Bild des menschlichen Körpers auf drastische Weise destruiert. Durch die sprachliche Stilisierung und das sprachlich dekonstruierte Bild des Körpers drücken diese Autoren/Innen Kritik an der österreichischen Nachkriegsgesellschaft und patriarchalischen und zerstörerischen Grund unserer Zivilisation aus.
Ein selbstständiges und relativ abgeschlossenes Kapitel bildet das dramatische Werk von Thomas Bernhard, der unabhängig von allen allgemeinen Tendenzen geschaffen hat. Zur Bernhardschen Dramatik gehören auch einige satirische und direkt gesellschaftskritische Dramen, die sogar eine Ausnahme in seinem Werk bilden. Es handelt sich um die Stücke Der Präsident, Vor dem Ruhestand, Über allen Gipfeln ist Ruh, um einen Zyklus der Dramolette Der deutsche Mittagstisch und vor allem natürlich um das letzte Stück Bernhards Heldenplatz. Alle diese Stücke drücken eine direkte Kritik des Nazismus, Antisemitismus und zeitgenössischer Xenophobie, wenn auch mit ganz anderen sprachlichen Mitteln, aus.

6.5.2013

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