Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2016)
Auch wenn häufig Kritik laut wird, dem Theater mangele es im Gegensatz zu Medien wie Internet, Zeitung und Fernsehen an aktuellen Themen, lässt sich mit Elfriede Jelineks Wirtschaftskomödie ein treffliches Gegenbeispiel anbringen. Noch bevor sich weltweit die Auswirkungen der ersten Finanzkrise des 21. Jahrhunderts bemerkbar machten, in der Banken, Groß- und Kleinunternehmen sowie private Anleger Bankrott erlitten, hatte die österreichische Literaturnobelpreisträgerin im Jahr 2007 begonnen, diesem Sujet ein theatrales Erscheinungsbild zu verleihen. Ausgehend von der Krise österreichischer Banken beschreibt Jelinek die Auswüchse des Kapitalismus und macht dabei die gesellschaftlichen Folgen literarisch deutlich.
So gab es mit der Uraufführung von Jelineks Text am Schauspiel Köln schon im April 2009 eine künstlerische Reaktion auf die damalige Weltfinanzkrise, deren Auswirkungen auch noch heute beispielsweise in der Kontroverse um die griechische Staatsverschuldung zu beobachten sind.
Über die inhaltliche Komponente hinaus macht Jelinek auch die Sprache der wirtschaftlichen Geschehnisse zur gestalterischen Grundlage des Dramentextes. Denn die Autorin dekonstruiert mit ihrem kompositorischen Stil die ökonomischen Prozesse, verzichtet auf Figuren und personifiziert stattdessen Geld, Banken und Börsenkurse. Durch Wortneuschöpfungen und Slogans wie „Minuswachstum“ und „Verluste erwirtschaften“ (er)findet sie eine eigene theatrale Sprache der ökonomischen Krise.
An den aktuellen Performanzdiskurs anknüpfend, entlarven Die Kontrakte des Kaufmanns die kollektive Leugnung von Verantwortung für wirtschaftliche Entwicklungen. Jedes Individuum ist bei Jelinek Opfer und Täter zugleich, was das Publikum bei der Uraufführung (Regie: Nicolas Stemann) bis hin zu einer körperlichen Ebene zu spüren bekam.
5.10.2015
Informationen zu Natalia Fuhry