Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2018)
Frontex ein Delphinmann, der Flüchtling eine Qualle, eine fliegende Kuh unterstelltes Fluchtmotiv – drei Kuriositäten, die den amüsanten wie ernst gemeinten Hinweis unter den Dramatis personae in Yellow Line von Juli Zeh und Charlotte Roos, es seien „[k]eine Tiere erforderlich“, negieren:
In Margareth Obexers Die Fliegenden Holländer taucht eine mahnende Hubschrauberflotte namens „Triton“ am Himmel auf, um zwei zurückgebliebene Passagiere – einen Historiker und einen Bestattungsunternehmer – des Kreuzfahrtschiffes „Coraggio“ im Mittelmeer daran zu hindern, Flüchtlinge an Bord zu nehmen und sich so der Beihilfe zur unerlaubten Einreise schuldig zu machen. Die ungeahnte Begegnung mit einem Flüchtlingsboot hindert sie an der Weiterreise nach Lampedusa und der Teilnahme am Kongress „Europaweites Unbehagen zu den Erscheinungen an den europäischen Rändern“, bei dem der Bestattungsunternehmer Profit darin wittert, mittels Schleppnetz nicht Fische, sondern ertrunkene Flüchtlinge zu fischen. Der Historiker hingegen vertritt die wahnwitzige These, wir seien alle fliegende Holländer, dazu verdammt, nur in Seenot Geratene zu retten, „weil Regierungen die Rettung untersagen“ und „Gesetze die Hilfe verbieten“.
Den „Abgang ins Wasser“ machen in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, Coda nicht nur die Flüchtlinge, die „zum alsbaldigen Verzehr durchs Meer bestimmt“ sind, sondern auch der „Mann in der grünen Badehose“, der Schlepper, der sich ebenso wie die Grenzschutzbeamten als „Delphinmann“ entpuppt. Derweil treiben die Geflüchteten nicht auf, sondern unter Wasser – genauer: unter Quallen – und erwägen notgedrungen Obdach auf dem Meeresgrund.
So wie Fluchtwege nicht nur über Land, sondern auch über Wasser führen, so sind gleichermaßen nicht nur Wasser-, sondern auch Landtiere literarstrategisch „erforderlich“: Nachdem Asch-Schamich in Seenot gerät, weil sein Fischerboot durch eine vom Himmel herabgestürzte Kuh sinkt, unterstellt ihm der Grenzschutzbeamte namens Frontex ob des haarsträubenden, sich jedoch letztlich als wahr erweisenden Vorfalls Fluchtintentionen: „Fliegende Kühe, was?“ Nicht nur Yellow Line führt so die Trias von Asylsuchendem, Beamten und Dolmetscher grundlegend ad absurdum.
Der Beitrag verhandelt die These, dass Alterität immer auch animalisch konnotiert ist und beleuchtet unter diesem Gesichtspunkt Theatertexte von Elfriede Jelinek und weiteren Dramatiker*innen.
2.7.2018
Informationen zu Verena Meis