Masterarbeit
Abstract
Diese Arbeit erforscht, welchen Sinn die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek dem Phänomen der Kleidermode einschreibt und welche Perspektiven die Mode auf das Schaffen der Autorin eröffnet. Ausgehend von Jelineks paradoxem Modebegriff wird die Mode von der Transmedialität bis hin zur Transzendenz ergründet, um so einen Überblick über die vielschichtigen Bedeutungsdimensionen der Mode in Jelineks Gesamtwerk zu schaffen. Sowohl Essays der Autorin – Mode, in Fetzen und Ich möchte seicht sein – als auch Theatertexte – SCHATTEN (Eurydike sagt), Der Tod und das Mädchen IV (Jackie) und Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!) – werden analysiert und dabei nicht nur mit der Jelinek- Forschung, sondern auch mit der Modewissenschaft vernetzt, um so Jelineks Stimme im Modediskurs zu kontextualisieren.
Mode steht im Zentrum von Jelineks Denkkosmos und durchzieht sämtliche Dimensionen ihres Schaffens. Sowohl privat als auch literarisch und sogar politisch ist die Mode von essenzieller Bedeutung für die Autorin. Jelinek bedient sich des Phänomens nicht nur als Inspirationsquelle, sie benutzt die Methoden der Mode – poetisch abstrahiert und radikalisiert – wie eine Folie für ihre Kunst, sodass sie im Verlauf ihres Schaffens zunehmend selbst wie die Mode wirkt. Jelinek erhebt die Mode zum Modell ihrer ästhetischen Vision. Die Produkte ihrer Literatur sollen auf dieselbe Weise inszeniert werden wie die der Mode: Die Modeschau erklärt sie zum Muster für ihr »Theater der sprechenden Kleider«. In der Mode erkennt die Autorin einen paradigmatischen Modus der Indifferenz, der Oberflächlichkeit und der Künstlichkeit, den sie sich zum Vorbild nimmt, um das abendländische hermeneutische Denken zu kippen und dadurch hierarchische Sinnstrukturen in heterarische einzuebnen: Inspiriert von der multireferenziellen Intertextualität der Mode konzipiert sie ihre Texte als Textilien – als Sprachgewebe, in denen sich herkömmliche Differenzen auflösen und so eine Dynamisierung und Fragmentierung von Sinn entsteht. Inspiriert von der Mode als Oberflächenphänomen entwirft Jelinek eine »Poetologie der Oberfläche«, die nichts verbirgt, sondern alles zum Vorschein bringt. Inspiriert von dem modischen Prinzip der Denaturalisierung dekonstruiert Jelinek die Mythen unseres Alltags, indem sie diese in Moden umstülpt.
Als Sprache, die man in Kleidern schreibt, setzt Jelinek Mode als Feminismus in Szene – wenn auch als einen abgründigen und höchst ambivalenten: Die Mode präsentiert sie als retardierendes Moment im »Drama des Weiblichkeitsmythos«. Im Verlauf ihres Schaffens schreibt Jelinek ihrem Werk eine »Metaphysik der Mode« ein, die sich zunehmend ins Mystische auflöst. Das Phänomen erschließt die Autorin über dessen widersinnige Erscheinungsstruktur. Sie stellt die Frage nach der Mode als ein existenzielles Erkenntnisproblem dar und verknüpft sie so mit den Grundfragen der Philosophie – insbesondere mit der Frage nach dem Menschsein. Über die der Mode eingeschriebene Sehnsucht nach Transformation erweist sich die Mode als ein transzendentes Phänomen, das nicht nur zwischen Medien, sondern grundsätzlich im Dazwischen wirkt. Davon angeregt entwickelt Jelinek immer wieder neue Strategien, um Grenzen zu überschreiten und sich so eine Position im Dazwischen zu erschaffen, aus der heraus sie wie eine überirdische Instanz zu ihrem Publikum sprechen kann. Die Mode ist dabei ihre persönliche Überlebensstrategie. Die Konzeption ihrer Identität als Autorin hat Jelinek so dicht in die Mode verwoben, dass sie mit ihr zu einer partnerschaftlichen Einheit verschmolzen ist. Nach dem Vorbild der Mode modifiziert Jelinek ihre sinnliche Präsenz zunehmend in Sinn und macht sich so selbst zum Model ihrer Kunst.
09.06.2021
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