Jennie Wrights und meine Übersetzungsarbeit zu Elfriede Jelineks „Bambiland“ 2002 hatte ich auf Bitte Konstantin Kaisers hin einen kürzeren (und sprachlich noch viel dichteren) Text, Jelineks Vorwort zu den „Flüchtlingskindern“, einer Autobiografie ihrer leider knapp vor Erscheinen des Buches durch die Theodor-Kramer-Gesellschaft in Amerika verstorbenen jüdischen Tante Claire Felsenburg, ins Englische übertragen. Als ein gutes Jahr später mein morgendlicher Blick auf ein Foto Jelineks auf der Titelseite des „Standard“ fiel, verbunden mit den Zeilen, sie habe, sinngemäß, ein Kriegsdrama über den Irak geschrieben, verspürte ich spontan den starken Wunsch, daß es diesen Text, zumal ja die Sprache der Hauptkriegstreiber, unbedingt auf Englisch geben müsse!
Es folgte eine Kontaktaufnahme mit Elfriede Jelinek und ihre Autorisierung meiner Übersetzung wie zuvor auch schon für „Das flüchtige Jetzt“ („The Fugitive Now“). Ein Zufall (?) wollte es, daß ein wenig später eine junge Engländerin in meinem Grazer Übersetzungs- & Dolmetschbüro mit der Frage nach einer Teilzeitbeschäftigung vorstellig wurde; ein weiterer wollte es, daß, wiederum nicht allzu lang darauf, mein (von mir und meinem damaligen englischen Mann) geführtes Büro mit einem Großübersetzungsauftrag in einer asiatischen Sprache betraut wurde, den ich lediglich zu koordinieren hatte und der es mir ersehnter Weise erlaubte, meine sprachmittlerischen Kapazitäten für „Bambiland“ freizuhalten. Was folgte waren an die, ich glaube, alles in allem vier bis fünf Monate, an denen Jennie und ich fast immer an Wochentagen in unserer Freizeit nach Büroschluss und an Wochenenden nachmittags jeweils etwa vier Stunden an „Bambiland“ arbeiteten.
Ich fuhr zur (zweiten) Aufführung von Christoph Schlingensiefs Burgtheaterinszenierung (ihn, den „exemplarisch Experimentierenden“, hatte sich Elfriede Jelinek als Regisseur gewünscht er müsse „mit bloßen Händen im Dreck wühlen, um eine schiefe Sand- oder Schotterburg zu errichten.“ – (warum) tut das im anglikanischen Raum keine(r)??) und hatte bereits zuvor mehrmals ihren Text gelesen. Danach begann ich mit der mehrmaligen Lektüre der „Perser“ im Reclamverlag, vorerst, und begriff allmählich die inhaltliche Verschränkung und das Jelineksche Hineinverweben von Textstellen, oft nur Textfetzen, wie abgerissen, aus der ersten Tragödie unserer Kulturgeschichte in die „Textmaschine“ ihres Kriegstextes. Gab es bei Aischylos Achtung vor dem unterlegenen Gegner, so gibt es in Bambiland, über weite Strecken zeitgleich mit dem Geschehen vor dem Fernseher geschrieben, gleichsam eine Widerspiegelung der Kriegshetze, des Hohns und Gespötts von Politik und Medien, und je mehr wir uns übersetzerisch auf das Terrain des Bambilandes vorwagten, die von Jelinek so atemberaubend konterkarierend in den Text montierten Steintafeln des berühmten alten, sich zwischen Euphrat und Tigris erstreckenden Hochkulturlandes Mesopotamien abgebildet sahen, desto mehr (babylonisches) Stimmengewirr war da, desto mehr ein Sichfragen, wer wohl hier der Barbar sei, desto mehr aber auch ein Sichverstricken in einen (und Sichverschreiben einem?) zunehmend vom Mitgefühl abgewandten und einer klaren Beschreibung zugewandten Blick, dem sich selbst die Autorin ihrem eigenen Bekenntnis nach letztlich fast nicht mehr zu entziehen wusste, ein Zustand, den weder der obligate „Deus ex machina“, noch der in einer weißen Wolke erscheinende Gott Vater zu beenden im Stande war … („Scheiße,…wie komme ich jetzt von den Gewinnern zu den Verlierern…?“). Oft bestand unsere Arbeit hauptsächlich in der Diskussion um deutsche Wortspiele, ob an dieser oder jener Stelle das englische Pendant etwas hergäbe, oft auf einen „Verdacht“ hin im Suchen nach dem Hinweis auf ein mögliches Wortspiel in der deutschen Übersetzung, darauf in der englischen Übersetzung der griechischen Tragödie; dann wieder bestand sie im Überarbeiten mühsam, sorgsam übersetzter Passagen, nachdem wir beim x-ten Mal Durchlesens eben jene Stelle (zufällig) doch als ein Zitat aus den „Persern“ ausmachten und sie nun ebenso in den englischen Text montieren mußten wie die Autorin dies zuvor mit dem deutschen getan hatte (es waren an die hundert insgesamt, auf die wir stießen, und wer weiß, wie viele es wirklich sind!). Oft mußten Wortspiele nach langer Suche und glücklichen Fündigwerdens verworfen werden, da sie uns (zu sehr) an den Haaren herbeigezogen schienen. (Zu dem Thema entwickelte sich ein interessanter E-Mailaustausch mit Elfriede, die uns in unserer Idee bestärkte, zusätzlich Wortspiele einzubauen, wo immer sich solche im Englischen anböten, sich nur im Deutschen nicht angeboten hatten, und uns zur Illustration auch Übersetzungsbeispiele aus der „Klavierspielerin“ ins Französische gab). Längst hatten wir uns von der Leihbibliothek in Innsbruck die im Buchhandel vergriffene, von Jelinek verwendete Übertragung aus dem Griechischen von Oskar Werner besorgt (und daraufhin gleich noch mehr „Perser“ im „Bambiland“ identifiziert) und verzichteten nun vollends auf den Versuch des Rückgriffs auf eine viel bequemer zu collagierende, on-line verfügbare Übersetzung. Die für mich ergreifendste Stelle in „Bambiland“ war, als Jelinek einen Journalisten sagen läßt: „…nehmen Sie Ihr Kind mit! Wir haben schon eins, das wir blutend und zerfetzt fotografiert haben, wir haben es jetzt auf der Festplatte. Noch eins brauchen wir nicht“, da versagte mir beim Formulieren die Stimme (Jennies und meine Arbeitsweise bestand in einem Diktieren der Übersetzung durch mich sowie Mitlesen und gedanklichem Mitübersetzen von Jennie und prompter Korrektur durch sie als englische Muttersprachlerin, oder aber Diskussion und gemeinsamer Verbesserung; anders als beim „Fugitive Now“, übersetzt von mir und korrekturgelesen vom Übersetzer Andy Peaston und der Lektorin Nancy Campbell). Die erheiterndste Stelle waren die (ursprünglichen, dann im Katalog zur Aufführung bereits korrigierten) „Weicheieier“, an denen Jennie und ich lange gekiefelt hatten. Als wir schließlich, immer noch unschlüssig, ein Mail dazu an Elfriede Jelinek schickten, kam – postwendend, wie immer – ihre Antwort, sie hätte sich da einfach vertippt, aber es gefiele ihr, wir sollten unsere Doppeleierübersetzung ruhig so belassen! Eine letzte große, aber nicht unüberwindbare Hürde tauchte ganz unerwartet auf, als wir, kurz vor Ende unserer Textmontagen der Stellen aus den „Persern“ anhand des Wortes „gray“ draufkamen, daß wir, obwohl in Großbritannien herausgegeben, versehentlich doch eine amerikanische Übertragung der Perser verwendet hatten (Aeschylus/ The Persians; Anthony J. Podlecki, ©1991), jedoch unser britisches nicht mit amerikanischem Englisch mischen wollten; Jennie kam dann eines Tages mit einer Ausgabe der „Penguin Classics“ aus England zurück, „Aeschylus/ Prometheus Bound and Other Plays; Philip Vellacott, © 1961), und so begannen wir von Neuem…. Die mehreren Bibel- und Nietzschezitate gegen Ende nahmen wir aus dem Internet (wo sich Jennies viel jugendlicherer Umgang mit einem mir, ich gestehe es, immer irgendwie fremd gebliebenen Medium in Form von großer Wendigkeit und Versiertheit, gepaart mit ihrer Sprachkompetenz als „Native Speaker“, besonders bezahlt machte). Auch für die unterschiedlich einschlägig übersetzten Nietzschebegriffe benötigten wir für die Textmontage, wie sich beim letzten Wortspiel herausstellen sollte, mehr als einen Anlauf.
Jedenfalls konnten wir es dann gar nicht erwarten, nach der Rohfassung im Juni 2004 auch unsere fertige Übersetzung um die nunmehr von Elfriede Jelinek um Abu Ghraib erweiterten Bildeinschübe – sprachlich hatte sie diese, fast prophetisch, schon vorweggenommen – an sie zu übermitteln. (Wir konnten die Szenen dank (des Germanisten/ Anglisten und Informatikers) Andreas Schenk ebenfalls vervollständigen.) Voll der Freude über die getane Arbeit und den „schönen Rhythmus“ unserer Übersetzung hat sie uns gefragt, ob sie das „englische Bambiland“ auf ihre Homepage stellen, ein paar Tage später, ob sie unsere Übersetzung an ihren Theaterverlag weiterleiten dürfe. Angefragte Lesungen, etwa für ein literarisches „Permanent Breakfast“, obwohl von Jelinek selbst für interessant befunden, wurden von demselben ohne Angabe von Gründen untersagt, wie auch jegliches Bemühen von unserer Seite um Kontaktaufnahme im Sinne und zum Zwecke einer wie auch immer gearteten Veröffentlichung oder Nutzung der englischen Version, selbstverständlich unter Einhaltung sämtlicher Urheberrechte, (bisher) stets vollends und zumeist kommentarlos im Sande verlief.
Als Elfriede Jelinek (an meinem Geburtstag!) im selben Jahr während der Frankfurter Buchmesse den Literaturnobelpreis zuerkannt bekam, hatte Rowohlt bekanntlich kein einziges Buch seiner Autorin an seinem Stand. Und wenngleich das britische „Bambiland“ meiner Einschätzung nach ungelesen (im besten Fall) in einer Schublade besagten Verlages vor sich hin dämmert, wünsche ich dennoch ungebrochen meinem, unserem „Bambiland“ – brandaktuell der Text leider noch immer – den ihm gebührenden Auftritt auf einer (Welt-) Bühne, sei dies nun in britischem oder – mittlerweile auch – amerikanischem Englisch!
Angelika Rosa Peaston, Graz, 3./4.12.2007