Bachelorarbeit
„Jeder Tag wird zum absoluten Erlebnis. Bis auf 3.029 m Höhe erstreckt sich das Gletscherskigebiet Kitzsteinhorn. Dies bietet Ihnen ganzjährig Schneegarantie“ 1) , wird groß auf der offiziellen Homepage der Gemeinde Kaprun verkündet. Das als „schlimmsten Katastrophe der österreichischen Nachkriegsgeschichte“ 2) bezeichnetem Brandunglück am 11. November 2000, bei dem 155 Menschen im Tunnel der Kapruner Gletscherbahn auf dem Weg zum Gipfel verbrannten, wird in keinem Wort erwähnt. Anders natürlich zur Zeit der Katastrophe. Medial groß ausgeleuchtet, war dieses wochenlange Thema Nummer eins in den österreichischen Nachrichten, allen voran in News, das als österreichische Hochglanz-Wochenzeitschrift von Sensationen, Rankings und Seitenblick-Berichterstattung lebt 3). Der groß aufgezogenen Boulevard-Berichterstattung dieser Zeitschrift widmet sich Jelinek in ihrem Theatertext In den Alpen. Sie paart das Seilbahnunglück jedoch mit einem weiteren Ereignis in Kaprun, das bereits unter der Zeit des Nationalsozialismus offiziell 161 Opfer forderte. Bereits in den 1920er Jahren geplant, entstand bis in die Mitte der 50er das Speicherkraftwerk Kaprun. Der Spatenstich dieses Kraftwerkbaus erfolgte nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938. Der Bau wurde während des Krieges unter gefährlichsten Bedingungen, trotz Lawinenabgängen und Materialmängeln, fortgesetzt. Zu dieser Zeit wurden Zwangsarbeiter für den Kraftwerksbau eingesetzt, die vorwiegend Kriegsgefangene aus Russland, der Ukraine und Fremdarbeiter aus verbündeten und besetzten Ländern waren. 4) Nach Beendigung des Krieges konnte der Bau des Kraftwerks mithilfe des Marshall-Plans weiterfinanziert werden, Arbeit fanden hier nun all jene, die sonst keine Arbeit fanden, wie zum Beispiel ehemalige Nazis, Flüchtlinge, Ausgebombte und aus Konzentrationslagern befreite Sozialdemokraten und Kommunisten. 5) In den 50ern konnte das Kraftwerk fertiggestellt werden, die Eröffnung des Kraftwerkes fand 1955, im Jahr des Österreichischen Staatsvertrags, statt. Als Symbol für den österreichischen Wiederaufbau und als technisches Wunderwerk gefeiert, zieht das Kraftwerk bis heute jährlich etliche Besucher an, von den 161 Opfern, welche der Bau forderte, ist jedoch niemals die Rede. Elfriede Jelinek greift in In den Alpen genau die Diskrepanz zwischen wochenlanger Berichterstattung über das Seilbahnunglück in Kaprun und dem Verdrängen der Opfer des Nationalsozialismus auf. Sie hat sich in den Vorarbeiten für In den Alpen intensiv mit verschiedenen Quellen auseinandergesetzt und erzeugte, wie stets in ihren Theatertexten, ein intertextuelles Sprachgeflecht. In diesem Fall sind die beiden wichtigsten Intertexte die trivial aufbereitete Berichterstattung des Magazins News, und Paul Celans hoch poetischer Text Gespräch im Gebirg. Durch die Kombination dieser so unterschiedlichen Intertexte entsteht sprachlich ein ganz eigener Duktus.Genau diese beiden sprachlichen Stränge, einerseits die sensationslustige Mediensprache von News, andererseits die sehr reflektierte, lyrischen Sprache Celans, werden in dieser Arbeit intertextuell analysiert. Anhand dieser Analyse soll deutlich gemacht werden, wie sich Jelineks Anspruch an den Umgang mit den Opfern Kapruns und des Nationalsozialismus manifestiert, wie sie diesen in ihren Texten deutlich macht. Die zu beantwortenden Fragen lauten: Welchen Anspruch stellt Jelinek an den Umgang mit den Opfern? Woran übt sie in diesem Zusammenhang Kritik? Durch welches intertextuell verwendete (Sprach-)Material verdeutlicht sie ihre Forderungen auf einer sprachlichen Ebene? Wie werden diese Intertexte verwendet, eingearbeitet, adaptiert, deformiert?
1) http://www.kaprun.at/sportfreizeit/winter.html, 26.06.2013.
2) http://www.zeit.de/2009/33/A-Kaprun/seite-1, 26.06.2013.
3) Janke, Pia: Der Mythos Kaprun in In den Alpen und Das Werk. In: Lartillot, Françoise und Dieter Hornig (Hg.): Jelinek, une répétition? Zu den Theaterstücken In den Alpen und Das Werk. Bern: Peter Lang 2009, S. 131.
4) Ebd. S. 130.
5) Ebd.
16.9.2013