Diplomarbeit
Der theatrale Apparat kann einerseits als Ort der Repräsentation von gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen oder als (Re-)Produktionsstätte kultureller Identität aufgefasst werden, andererseits kann das Theater aber auch ein Ort sein, an dem Kritik an diesen stattfindet. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Frage ist, welche politischen Dimensionen der theatrale Raum haben, und inwiefern er das Selbstverständnis in den Begriffen des herrschenden Diskurses stören und in Frage stellen kann. Elfriede Jelineks Theatertexte können als ein solcher kritischer Störfaktor, als Gegendiskurs fungieren und das Theater als Ort der Sichtbarmachung nutzen.
Anhand des 2005 entstandenen Theatertextes Über Tiere soll aufgezeigt werden, wie Jelineks ästhetische Strategien eine Dekonstruktion des Einheitssubjekts und die Entmystifizierung von Weiblichkeit und Sexualität leisten. Die im Text verwendeten Fragmente von polizeilichen Abhörprotokollen eines illegalen Frauenhandels-Rings werden als Dokumente einer männlichen Sprache der Begierde einem weiblichen Begehren gegenübergestellt, welches sich in dem Versuch, sein Begehren zu realisieren, aufgeben muss. Am Ende des Stückes wird eine Analogie von Frau sein und „pathologische“ Weiblichkeit hergestellt, indem der reale Fall von Anneliese Michel eingeflochten wird, die 1976 an Unterernährung starb und vor ihrem Tod exorzistischen Methoden unterzogen wurde. Das Stück inszeniert u. a durch das Einbeziehen von „alltagssprachlichen“ Zitaten jene verletzenden Geschlechterdiskurse, die an der Konstitution dichotomer Geschlechteridentitäten beteiligt sind. Wie diese Arbeit zeigen soll, wird der Identifikationsprozess mit den in dem Stück dargestellten Geschlechteridentitäten jedoch unterbunden, da einerseits das Konzept einer einheitlichen Identität durch Jelineks ästhetische Verfahren zertrümmert, und das Identifikationspotential, das die binären Geschlechter-Matrix (vgl. Butler) bereithält andererseits als nicht mehr lebbar und krankmachend aufgezeigt wird. Jelineks radikaler Pessimismus gegenüber dichotomer Geschlechteridentitäten kann als queerer Gegendiskurs aufgefasst werden, da sie das von der heteronormativen, männlichen Definitionsmacht unterdrückte und unsichtbare Skript hervorschreibt. Judith Butlers Theorie der Performativität von Geschlecht sowie die queer-theoretisch Kritik an Identitätspolitiken sollen als theoretischer Überbau dienen, um zu analysieren, inwiefern Elfriede Jelineks Theatertext Über Tiere als subversive Praxis und als queere Strategie der Verweigerung heteronormativer Identitätszuschreibungen verstanden werden kann. Weiters soll untersucht werden, wie das Jelineksche Theater als Ort fungiert, an dem Sprache in ihrer sowohl wirklichkeits-abbildenden als auch realitätsstiftenden Dimension statt hat.
31.10.2013
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