Aline Vennemann: „Medium, Medien und Medialität im Werk Elfriede Jelineks“ oder „Boten und Botenstoffe in Elfriede Jelineks Werk“

Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2014)

„Ich weiß nicht, was ich sagen darf. Ich habe euch so viel zu geben, aber den Boten schlägt man immer nur“, vertraut uns eine der vielen, anonymen Stimmen in Rechnitz (Der Würgeengel) an. Frage ist dabei weniger wer hier im Namen des Personalpronomens spricht, als das wie und das warum dieser Wortergreifung. Einerseits setzt sich nämlich Jelineks „Chor der Boten“ aus angeblichen Zeugenstimmen zusammen, die berichten, was sie mit eigenen Augen gesehen haben wollen; andererseits handelt es sich um Boten, die Fakten aus zweiter und dritter Hand vermitteln, wobei die sporadische Präsenz einer auktorialen Stimme nicht ausgeschlossen ist. Formulierungen wie „Ich soll berichten…“ oder „das sprech ich als Bote“ markieren nicht nur die Distanz des Sprechers zum Gesagten, sondern heben zugleich seine Mittelbarkeit hervor. Die angeblichen Antworten auf die multiplen Fragen können erzähltechnisch nicht mehr verantwortet werden. Hängt dieses verantwortungslose Antwortsuchen mit Elfriede Jelineks spezifischer Ästhetik zusammen, die die Kategorien des Figurativen, Psychologisierens und sinnstiftenden Narrativen abschafft? Überdenkt Jelineks écriture damit nicht die Formen des Medialen und Intermedialen selbst? Ausgehend vom Text Rechnitz, wo sich die hybride Figur des Boten als Medium, Zeuge, Engel und Überbringer, als (Be)Richter und (Wahr)Sager deutlich als neues dramatisches Mittel herauskristallisiert, wird hier der Frage nach dem kommunikativen Modell bzw. Potenziell der Jelinekschen Theaterästhetik nachgegangen. Delegiert der Text tatsächlich die Verantwortung über den Sinn und Zweck der Botschaft gänzlich an den Rezipienten, wie es im gleichnamigen Stück provokant behauptet wird („das Gewinnen von Erkenntnissen ist nicht Aufgabe des Boten, es ist Aufgabe des Empfängers der Nachricht“)? Doch was wird dann aus der auktorialen Instanz und ihrer Autorität (Garantie) über das Gesagte bzw. Geschriebene, Suggerierte und Gezeigte? Weniger über die Autorin selbst, als über die Bedeutung und Funktion des Boten und „Botenstoffs“ wird dabei reflektiert, d.h. über das rhetorische Mittel des Transmittierens und somit auch über den Paradigmenwechsel der Medien. Ermöglicht uns Jelineks Ästhetik, und insbesondere ihr Theater, einen neuen Blick auf (inter)mediale Phänomene und allgemeiner auf das Konzept des Intermedialen? Es stellt sich auch die Frage nach den verwendeten Materialien. Ist die Schrift noch ein relevanter Transmitter oder haben Stimme und Bild den Text abgelöst? Welche Konsistenz kann einem solchen „Botenstoff“ beigemessen werden? Kann das Oxymoron des „Sprach-Rohres“ hierbei fruchtbar gemacht werden? Das Projekt stützt sich u.a. auf Sybille Krämers Überlegungen zum Medium (Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Suhrkamp, 2008); aktuellen Untersuchungen zur Stimme (S. Krämer, D. Kolesch: Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Suhrkamp, 2006 ; D. Kolesch, J. Schrödl: Kunst-Stimmen, Theater der Zeit, Recherchen 21, 2004) und Performativität (Erika Fischer-Lichte) sowie Analysen zur Zeugenschaft (M. Bachmann: Der abwesende Zeuge: Autorisierungsstrategien in Darstellungen der Shoah, Francke, 2010; S. Felman, D. Laub, Testimony: Crisis of Witnessing in Literature, Psychoanalysis and History, Routledge, 1992).

13.6.2014

Informationen zu Aline Vennemann