Sylvia Paulischin-Hovdar: „Das Lebewohl“ – kein rechter Abschied

Teilaspekt der Dissertation
(für den Nachwuchsworkshop 2014)

Das angedachte Forschungsprojekt fokussiert auf Fragen der interpretatorischen Praxis, die am Beispiel des kleinen (aber wortgewaltigen) Theatermonologs Das Lebewohl – ein „Meisterstück literarischer Rhetorik“1) – aus dem österreichischen „Wende“-Jahr 2000 verhandelt werden sollen. Vorgeschlagen wird eine interdisziplinäre Herangehensweise, die aktuelle geschichtswissenschaftliche Faschismus- und Opfermythostheorien in die Textanalyse integriert, um auf diese Weise zu neuen Deutungsmöglichkeiten zu gelangen.
Jelineks Haider-Figur DER SPRECHER ist als homophiler Narziss dargestellt, der im Monolog seine durch den Rückzug aus der Bundes- in die Kärntner Landespolitik entstandenen Wunden leckt. Die paradoxe Sprache der (als exemplarisch zu begreifenden) Figur, ein ständiges Mäandern zwischen Verurteilung auf der einen sowie Leugnung und trotziges Selbstmitleid auf der anderen Seite, widerspiegelt dabei das paradoxe österreichische Gedächtnis, das sich durch das Nebeneinander verschiedener, zum Teil widersprüchlicher Narrationsstränge auszeichnet (in der zeithistorischen Literatur auch als „Opfer-Täter-Gedächtnis“ bezeichnet).
Mit der rekurrenten Gegenüberstellung von „wir alle“ und „die vielen“ bzw. Variationen dieser Formulierungen beschreibt Jelinek wie nebenbei eines der wichtigsten Charakteristika faschistischer Regime, die in blindem Gemeinschaftswillen das zu vernichten trachten, was ihrer Definition nach nicht dazugehört – ein Phänomen, das die Zeitgeschichte mit dem Begriffspaar „Inklusion“/„Exklusion“ zu umschreiben weiß.
Jelineks Bühnenmonolog meint weit mehr als den damaligen Kärntner Landeshauptmann: Er kreidet die ambivalente Erinnerungskultur eines Landes an, das es bis zum heutigen Tag nicht geschafft hat, seine historische Schuld – auch sprachlich – zu internalisieren. Aktuelle Bezüge spiegeln sich in peinlichen Debatten über die „sprachpolizeiliche“ Ahndung politisch unkorrekter Begriffsverwendungen á la „Negerkonglomerat“ wider. Eine Deutungsvariante mit zeitgeschichtlicher Perspektivierung erscheint als äußerst lohnenswert.

Fußnoten
1) Wendelin Schmidt-Dengler; zitiert nach: profil, 42/2004, S. 128.

24.6.2014

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