Dissertation
Abstract
Bärbel Lücke weist in ihrer Einführung auf den besonderen Umstand hin, dass es sich im Falle Jelineks um eine „poeta docta“ handelt. Ein Umstand, dem in einer wissenschaftlichen Analyse unbedingt Rechnung getragen werden sollte. Wurden dem Wirken von Roland Barthes Thesen auf das Jelineksche Œuvre längst diverse Arbeiten gewidmet, soll die zu erstellende Analyse dem von Lücke angemerkten Befund Rechnung tragen.
Um eine möglichst vielschichtige Betrachtung des Jelinekschen Werkes zu garantieren, soll die poststrukturalistische Analyse in all ihrer Vielfalt zum Tragen kommen. Die Diskursanalyse im Sinne Foucaults, mit Ideen wie der Archäologie oder Einschreibungsverfahren, soll dabei ebenso zum Tragen kommen wie eine psychoanalytische Lesart. Dieses Deutungsverfahren, wird in Bezug auf Probleme einer Subjektkonstituierung dominierend für die Lektüre sein. Hierfür sollen sowohl die frühen Ideen von Freud erfasst werden, aber insbesondere dessen Relektüre durch Lacan zur Interpretation dienen. Lacans Idee, dass das Unterbewusste wie eine Sprache strukturiert sei, wird dabei in all seiner Ambivalenz Verwendung finden. Exegeten wie Žižek, aber auch scheinbare Kritiker wie Deleuze und Guattari sollen einen kritischen Diskurs beispielsweise zur Bedeutung des Phantasmas in Jelineks Texten befördern. Der Schrifttheorie soll im Sinne der Dekonstruktion von diachronen Systemen Rechnung getragen werden. Dabei ist mit der Zertrümmerung einer hierarchischen Ordnung, wie ihn die poststrukturalistische Schule dekliniert, bereits eine der entscheidenden Verfahren der Jelinekschen Poetik zu erfassen.
Dem dramatischen Text Krankheit oder Moderne Frauen (1987) kommt in der nachzuzeichnenden poetologischen Entwicklung von Jelineks Œuvre eine besondere Position zu. Denn rekurrierend auf früheste Texte Jelineks gewinnt die Phantastik und mit ihr die Horrorgestalten zunehmend an Einfluss. Die Auflösung von Realitäten im apokalyptischen Szenario und die damit verknüpften Zerstörungen von Dichotomien im Raum der Phantastik sind zu verhandelnde Fragestellungen.
Die Frage nach dem Subjektstatus erweist sich dabei als immanenter, aber auch als ein sich stets weiterentwickelnder Bestandteil aller Texte. Das Subjekt im Medienzeitalter, die besondere Perspektive einer Einschließung des Individuums in prädestinierte Formen, die Sexualität als Ich-Bildner und schließlich die Phantastik, als Möglichkeitsraum einer neuen Subjektivität, sind zu verhandelnde Themen der Jelinekschen Texte. Und mögen sich die Ansätze und Zugänge zu diesem Thema auch über die Jahre in unterschiedlichsten Varianten ausgebildet haben, hinterfragen sie doch auch immer die bestehende Ordnung. Es ist dies der Blick hinter eine vermeintlich feste Realität die sich zunehmend als Signifikantenrealität entlarvt. Dieses Erkennen, geeint in dem Anspruch einer gleichzeitigen Durchbrechung des artifiziellen Konstrukts, soll als der zentrale Aspekt des Jelinekschen Schreibens Beachtung finden.
Damit soll erstmalig nicht allein die Problematik einer Subjektkonstituierung in das Zentrum einer Analyse zu Jelinektexten vorgenommen werden, sondern selbige in einer Genealogie als deren Zentrum erkannt werden. Es ist dies ein Fall des Subjekts in eine Selbstbewusstlosigkeit der immer auch auf eine Signifikantenrealität verweist.
Wird der erste Teil der Analyse Jelineks Texte auch immer in eine literaturhistorische Tradition einbinden, soll sich der zweite Teil der Betrachtungen, außer in Rekurs auf andere Jelinektexte, maßgeblich auf Die Kinder der Toten (1995) konzentrieren.
26.6.2014
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