Brigitte Stocker: Das satirische Zitat bei Karl Kraus und Elfriede Jelinek

Teilaspekt der Habilitation
(für den Nachwuchsworkshop 2014)

In Elfriede Jelineks Text Die brennende Hosenhaut, der die Berichterstattung und die darauffolgenden Postings über den Fall eines Asylbewerbers, der sich selbst anzündete, analysiert, bezieht sich die Autorin auf einen Text von Karl Kraus in der Fackel.
Der Satiriker veröffentlichte dort einen Briefwechsel von Rosa Luxemburg, die in ihrem Breslauer Gefängnis Mitleid mit den im Hof gequälten Büffeln zeigte. Die Rezipienten journalistischer Gebrauchstexte, das zeigt Kraus am Beispiel des zynischen Kommentars in einer Zusendung einer Innsbrucker Leserbriefschreiberin, sind zu dieser Empathie nicht mehr fähig und kommentieren das Leid anderer mit ausgesprochener Gehässigkeit. Den polemischen Ausbruch gegen das Phänomen ‚Posting‘ und die darin zum Ausdruck kommende bestialische Gesinnung bezeichnet Jelinek in ihrem Essay als die „stärkste bürgerliche Prosa der Nachkriegszeit“ und nennt Kraus den „Gutmenschen einer vergangenen Zeit“.
Das geplante Projekt will den intertextuellen Schreibverfahren der beiden AutorInnen nachgehen. Es sollen ausgewählte essayistische Texte von Karl Kraus und Elfriede Jelinek auf die Zitattechnik hin untersucht werden, denn die Parallelen zwischen dem Traditionsbegründer der österreichischen Nestbeschmutzung und der bedeutendsten österreichischen „Nestbeschmutzerin“ der Gegenwart in deren Reaktion auf das jeweilige Zeitgeschehen und dessen polemische Verarbeitung sind äußerst bemerkenswert. In Jelineks und Kraus‘ Texten werden in Massenmedien gedankenlos verwendete Redensarten aufgegriffen, die vom Textsubjekt (Persona) kommentiert, transformiert und dekonstruiert werden. Beiden dienen Zitate im rhetorischen Sinne als Evidentia, sie sind Beweise für die Konstatierung einer „verkehrten Welt“ (Schwind, Satire in funktionalen Kontexten). Beide AutorInnen, die erstaunlich schnell auf das Zeitgeschehen satirisch reagieren, machen in ihren Texten einen exorbitanten Gebrauch dieser Evidenzmittel in Form von intertextuellen Figuren, die sich nach ihrer Wirkabsicht einteilen lassen. Es findet sich eine Fülle von Bezügen auf einerseits „klassische“ Literatur wie Shakespeare, Goethe, Jean Paul etc. (affirmativ zitierte, fremde Textsegmente) und Zeitungsmaterial (pejorativ verwendete Text- und Bildsegmente). Es soll untersucht werden, wie sich durch die Montage dieser Materialien neue Kontexte ergeben und wie die verschiedenen Textsegmente in einen Dialog miteinander treten, den das Textsubjekt dirigiert.

26.6.2014

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