Brigitte Stocker: Das satirische Zitat

Habilitation (Konzept)

Zwischen Karl Kraus und Elfriede Jelinek verläuft eine Traditionslinie kritischen Denkens, die ich in meinem Habilitationsvorhaben untersuchen will. In diese Tradition stellt sich Jelinek auch bewusst, indem sie in ihren Texten auf Kraus’ satirische Zeitschrift „Die Fackel“ verweist. Dieses Verweisen auf andere AutorInnen und die Montage fremder Textsegmente spielen im Werk beider AutorInnen eine große Rolle. Das Phänomen der Intertextualität ist für die Satire gattungskonstituierend (Jelinek wird zwar nicht als Satirikerin deklariert, doch sind die satirischen Elemente in ihren Texten unübersehbar).

Es stellt sich die Frage nach einer Typisierung der in den Texten verwendeten Zitate. Dabei ist es notwendig, Zitate gegenüber Formen wie Parodie, Persiflage, Motto, Travestie etc, abzugrenzen.
Die montierten fremden Textsegmente ließen sich im Falle beider AutorInnen auch nach ihrer Wirkabsicht kategorisieren: in affirmativ Zitiertes (klassische Literatur wie Shakespeare oder Goethe, die gegen das Zeitgeschehen mobilisiert wird) und pejorativ Zitiertes (Zeitungsartikel, Postings oder Fotografien, die im satirischen Text der Beweisführung dienen). Durch den satirischen Kommentar werden die dokumentarischen Materialien dekonstruiert. Auch Fotografien wie das in der ‚Fackel’ abgedruckte berühmte Foto des Herausgebers der ‚Neuen Freien Presse’ Moriz Benedikt vor dem Parlament oder das Bild von Krone-Herausgeber Hans Dichand (in Jelineks „Dem Faß die Krone aufsetzen“) spielen eine wichtige Rolle. Mitunter erfolgt auch ein Medientransfer, d.h. Bilder werden literarisiert. Die Wechselwirkung der montierten Textsegmente miteinander und mit dem Kommentar des Textsubjekts steht im Fokus der Betrachtung. Beide AutorInnen greifen Redensarten auf, die im fortlaufenden Text verändert, vom Textsubjekt kommentiert und mit neuer Bedeutung gefüllt werden. Es kommt zu einer Transformation und Dekonstruktion der in den Medien gedankenlos verwendeten Redensarten; eine Verfahrensweise, die eine Basis für die Medienkritik bei beiden AutorInnen bildet.
Diese Technik ist typisch für satirische Texte und erfüllt eine argumentative Funktion, d.h. sie dient dem Ziel der Persuasion.
Die Analyse will sich von der Rhetorik leiten lassen. Die fremden Text- und Bildsegmente werden nach Heinrich Plett als rhetorische Figuren der Intertextualität wahrgenommen, die – wie alle Stilmittel – die Funktion haben, die Argumentation zu stützen. Der spezifische Einsatz zitathafter Rede ist für satirische Texte von großer Bedeutung. Zitate dienen in satirischen Schriften als Evidentia, sie sind Beweise für die Konstatierung einer ‚verkehrten Welt’ (Schwind, ‚Satire in funktionalen Kontexten’). Kraus und Jelinek machen beide in ihren Texten einen exorbitanten Gebrauch dieser Evidenzmittel in Form von intertextuellen Figuren.
Dieser spezifische Zeitbezug erschwert die Rezeption der Texte zunehmend. Das in der Satire verarbeitete zeitgenössische Material und die verschlüsselten Allusionen zitathafter Rede sind der Grund dafür, warum das Verständnis so gestalteter Texte für eine spätere Rezeption immer schwieriger wird.

Zitation ist immer auch ein Spiel mit Wiederholung und Abweichung. So geartete referenzielle Verfahren wie Zitieren oder Sampeln geraten in der Analyse von performativer Kunst zunehmend in den Fokus der Betrachtung; sie sind also keinesfalls auf die verbale Ebene beschränkt, sondern wären gerade für die Interpretation von Jelineks theatralem Werk von großer Bedeutung.

12.8.2014

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