Elisabeth Günther: Konfigurationen des Unheimlichen in Elfriede Jelineks Theatertexten

Dissertation

Abstract

Eine der wenigen direkten Nennungen des Unheimlichen in Elfriede Jelineks Texten findet sich in dem 1984 verfassten Theatertext Krankheit oder Moderne Frauen. Hier spricht Dr. Heidkliff Facharzt für Kiefer- und Frauenheilkunde zu seiner untoten Frau, der homosexuellen Krankenschwester und Vampirin Emily: „Was seid ihr doch für unheimliche Gesellen. Wir lebendigen atmenden Menschen stehen im schönsten Gegensatz zu euch.“ (S. 227)
Jelineks Werk ist thematisch von dem Motiv der Untoten geprägt. Durch ihre Tex­te geistern Zombies, Vampire, Gespenster und andere Arten von Wiedergängern. Dieser Bogen spannt sich vom Vampirmotiv in DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs (1969), wie auch in Krankheit oder Moder­ne Frauen über ihr Opus Magnum, dem Roman Die Kinder der Toten (1995), in dem „Unleben­dige über Leichen gehen und Untote fröhlich ‚Urständ‘ feiern“ (Löffler 2004) bis zu dem untoten Selbstmordattentäter Mohammed Atta, dem Jelinek in Babel (2004) eine Stimme verleiht, um die Ereignisse von 9/11 zu reflektieren.
Jedoch wird nicht nur in Krankheit oder Moderne Frauen schnell deutlich, dass es nicht so sehr das vampirische Dasein der Figuren ist, das sie unheimlich werden lässt, sondern letztendlich alle Figuren im Text unheimlich werden, auch die vorgeblich „lebendigen, atmenden Menschen“. In einem Interview von 1989 formuliert Jelinek den Wunsch, im Theater „Unbelebtes [zu] erzeugen“ (Roeder 1989): „Ich will dem Theater das Leben aus­trei­ben. Ich will kein Theater.“ (ebd.) Dabei stellt die Verlebendigung der Figur im traditionellen bürgerlichen Repräsentationstheater den zentralen Angriffspunkt ihrer negativen Theaterästhetik dar. Die inhaltliche Fokussierung auf das Untote korrespondiert also mit der formalästhetischen Ebene insbesondere ihrer Theatertexte. Ihre Stücke sind radikal dekonstruktivistisch, ihr spezifisches Verfahren der Intertextualität dekuvriert den Doppelcharakter des Zi­tierens als Mortifika­tion und Neubelebung der Vergangenheit (Annuß 2005) und ihre negative Theaterästhetik ist explizit an das Motiv des Untoten gekoppelt.
Die Dissertation schließt an die aktuell virulente Forschung zum Untoten in Jelineks Werk an (Annuß/Heimann/Mertens), fokussiert dabei jedoch das Unheimliche als Indikator für die Verunsicherung von Belebtheitsverhältnissen. Darüber hinaus wird der These nachgegangen, dass Jelineks Fokus auf das Untote und die Inklination ihrer Texte zum Unheimlichen vornehmlich mit Medialität zusammenhängt. Die Konjunktur, die das Unheimliche seit den 1980er-Jahren erlebt, ist im Zu­sammenhang mit der fortschreitenden Medialisierung unserer Gesellschaft zu verstehen (Masschelein 2014). Darin wird das Unheimliche zur prinzipiellen Grundstimmung in der Post­mo­der­ne (Lutz 2006) als einer Epoche, die sich zum einen mit ihrem Präfix ‚post‘ dadurch auszeichnet, das Ende aller möglichen Gewissheiten auszurufen (das Ende der Geschichte, des Subjekts, des Theaters etc.) und zum anderen aufgrund einer allumfassenden elektronisch-digitalen Medialisierung eine Nachträglichkeit und Mittelbarkeit ins Spiel gebracht wird, die die Eindeutigkeit von Belebtheit und Authentizität des Menschen in Frage stellt.
Die Arbeit kann nachweisen, dass Jelinek eben diesen Mechanismus des Medialen im Unheimlichen verortet, indem ihre Texte facettenreich den Entzug der Präsenz in der Darstellung inszenieren. „Medien sind Instrumente des Un­heim­lichen“, konstatiert Hans-Friedrich Bor­mann in Anlehnung an Friedrich Kittler. „Sie erzeugen und garantieren ‚Wirklich­keit‘. Insoweit sich Medialität insge­samt als blin­der Fleck der Wahr­neh­mung erweist, bleiben ihre strukturellen Voraussetzun­gen un­sicht­bar.“ (Bormann 2001) Jelinek sucht eben diese „strukturellen Voraussetzungen“ sichtbar zu machen und weist in ihren Texten exzessiv auf Medialität hin; mit der Beto­nung der Medialität wird dabei das dargestellte Ereig­nis mehr und mehr zu einem gespenstischen Akt. Als Phantasma, das sich als Anwesen­des erst in seiner Abwesenheit beweist, tritt das Ereignis im Kontext seiner medialen Dar­stel­lung in eine unheimliche Dynamik.
In der Untersuchung von Jelineks Theatertexten mit dem Fokus auf das Unheimliche im Horizont der Kategorie des Medialen leistet die Arbeit so nicht nur einen Beitrag zur Erforschung eines zentralen Topos im Werk der Autorin, sie gibt auch Aufschluss über die im Kontext des postdramatischen Theaters zentralen Kategorien von Ereignis, Darstellung und Repräsentation. Darüber hinaus erschließt sie neue Aspekte des Unheimlichen, die Jelineks Texte zu denken geben. Die Studie verfolgt also einen doppelten Ansatz, indem sie zum einen das Unheimliche als Instrument gebraucht, um die Texte der österreichischen Nobelpreisträgerin zu analysieren und dabei zum anderen neue Erkenntnisse für die seit den 1980er Jahren in der Forschung virulente Kategorie des Unheimlichen erarbeiten kann.

28.9.2015

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