Dissertation
Abstract
Da gerade der weibliche Körper besonderen Reglementierungsmechanismen und Schönheitsdispositiven unterliegt, ist das Öffnen dieses Körpers ein besonders heikles Thema in der westlichen Kulturgeschichte. Wird die Haut – als symbolische Grenze der Gesellschaft – mutwillig geöffnet, entspricht dies dem Anti-Ideal des Frauenkörpers. So wird sie sowohl von Performance-Künstlerinnen seit den 1970er Jahren, als auch von Patientinnen bearbeitet, geöffnet und geritzt. In der Psychiatrie ist der weibliche geöffnete Körper pathologisiert, im ästhetischen Diskurs mit Ekel besetzt worden. Die Dissertation diskutiert die weibliche Körpermodifikation im Spannungsfeld der Medizin, Psychologie und Kunst und macht das gesellschaftskritische Potential des Körperöffnens anhand von Raum- und Körperkonzepten deutlich.
Im Fokus des Dissertationsprojektes stehen Texte deutschsprachiger Schriftstellerinnen der Gegenwart. Die Protagonistinnen in Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin, Charlotte Roches Feuchtgebiete oder Sibylle Bergs Sex 2 sind Grenzgängerinnen: Sie öffnen ihre Haut, entgrenzen ihren Körper, holen ihr Inneres nach außen. Sie gebrauchen, missbrauchen und spielen mit ihren und anderen Körpern. Die Texte werden hinsichtlich ihrer Körperbilder und -diskurse untersucht und miteinander verglichen. Nach ihrem Erscheinen wurden die Werke scheinbar reflexartig im Feuilleton skandalisiert. Diese Reaktion zeigt, dass das vermeintlich eklige und krankhafte Verhalten der Protagonistinnen zunächst nicht auf einer Metaebene wahrgenommen wurde. Die Texte greifen auf verschiedene Art und Weise medizinische und ästhetische Diskurse auf und desavouieren sie. Indem die Protagonistinnen die Körpergrenzen durchbrechen, verweisen sie auf die Grenzen der Gesellschaft innerhalb und – wie sich durch die Reaktion im Feuilleton zeigt – auch außerhalb des Textes.
2.10.2015
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