Dissertation
Abstract
Meine im Jahr 2017 abgeschlossene Dissertation widmet sich dem Werk der österreichischen Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Aus einer medienkritischen Perspektive untersuche ich in meiner Studie ein zentrales und zutiefst ambivalentes Moment von Jelineks Romanen und Theaterstücken. Verfolgen diese sprachkritischen Texte auch eine aufklärerische Intention, indem sie Machtverhältnisse, Gewaltstrukturen und Verdrängungsmechanismen zum Vorschein bringen wollen, so bedienen sie sich hierzu doch einer subversiven Rhetorik, die den Anspruch aufklärerischer Diskursivität durch Ironie, Provokation und Manipulation systematisch unterwandert. Der Ursprung dieses ambivalenten Sprechens ist in Jelineks Erzählhaltung der „Ichlosigkeit“ zu suchen. Durch ihren antibiographischen, ichlosen Sprechgestus kann die Autorin mediale Diskurse auf listige Weise unterwandern und gesellschaftliche Missstände entlarven. Zugleich jedoch hält sie ihre eigene Position strategisch in der Schwebe und verwickelt die Leser dabei in die agonale Dynamik einer scheinbar von selbst sprechenden Sprache.
Anstatt das Werk der Autorin, wie viele seiner Kritiker, aufgrund seiner ambivalenten Verfasstheit zu deklassieren oder es durch den Rückgriff auf poststrukturalistische Theorien zu verteidigen, frage ich in meiner Dissertation nach den produktiven sowie kritischen Potenzialen von Jelineks subversiver Rhetorik. Methodisch verfolge ich dabei einen immanenten Kritikansatz. Den von Jelinek formulierten medienkritischen, aufklärerischen Anspruch beziehe ich auf ihr eigenes Schreiben, um einen differenzierten Zugang zu dessen Ambivalenzen zu erhalten. In kritischer Distanzierung zu poststrukturalistischen oder dekonstruktivistischen Zugängen orientiert sich meine Studie an den Ansätzen der literarischen Rhetorik, der Erzählforschung und des Close-Readings. Mit der Hilfe dieser methodischen Grundlagen rekonstruiere ich im ersten Kapitel die rhetorische und mediale Verfasstheit von Jelineks ichloser Sprechhaltung. In drei weiteren Kapiteln erörtere ich anschließend anhand dreier exemplarischer Texte die wesentlichen Neuausrichtungen und aporetischen Momente der subversiven Rhetorik. Bei den von mir untersuchten Werken handelt es sich um die Romane Die Ausgesperrten (1980) und Die Kinder der Toten (1995) sowie um den postdramatischen Text Winterreise. Ein Theaterstück (2011).
Wie sich im Verlauf meiner Studie zeigt, finden Jelineks ichlose Rhetorik und die damit einhergehenden Ambivalenzen in jedem dieser drei Werke eine strukturelle Entsprechung; nicht nur hinsichtlich ihrer subversiven Ausrichtung, sondern auch bezüglich der Charaktere, der Handlung und der Motivik. Ich lege außerdem dar, wie Jelinek ihre subversive Rhetorik stetig neu ausgerichtet hat, um immer wieder neue Reibungspunkte zwischen Text und Selbstinszenierung sowie zwischen der Rezeption und dem politisch-literarischem Kontext ihrer Werke zu suchen. In meiner Dissertation wird überdies eine übergreifende Entwicklungstendenz von Jelineks Werk sichtbar: Ist die ambivalente Haltung der Ichlosigkeit zunächst noch ein Medium der strategischen und rhetorischen Zuspitzung, so rückt sie mit der Zeit immer weiter ins Zentrum von Jelineks Schreiben, wo sie als Erfahrungssignatur einer Außenseiterexistenz erkennbar wird.
3.8.2017
Informationen zu Sebastian Weirauch