Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2016)
Ausgehend von Yoko Tawadas literarischer Konzeption der Exophonie, die als Gestus des „Heraus-Tretens“ der Stimme aus der Schrift respektive aus der „einen“ Sprache bereits im Schwellenbereich von Literatur und theatraler Aufführung ausgetragen wird, widmet sich das Projekt ihren postdramatischen Adaptionen. In diesem Beitrag steht das Verknüpfen von Tawadas und Jelineks Spracheinsätzen im Fokus, welches von den Fragen angeleitet wird, inwiefern auch Jelineks Text Die Schutzbefohlenen exophon verfährt und welche spezifische Spielform der Exophonie Stemanns Inszenierung entfaltet.
Bei Tawada wird exophones Schreiben zu einem Mittel, kritische Reflexionen über identitätspolitische Modi der „Sprachbeherrschung“ der jeweiligen nationalen Diskurse anzustellen, die die klangliche Dimension der Sprache als Marker von „ZuGehörigkeit“ einsetzen. Im Gegenwartstheater entwickelt das darin angelegte Exponieren des Sprachkörpers eine weitere Spannung im Umgang mit dem Theatertext.
So agieren in Stemanns Inszenierung von Jelineks Die Schutzbefohlenen am Thalia Theater in Hamburg „reale“ Flüchtlinge auf der Bühne, deren Sprechen sie als „Nicht-Zugehörige“ über die von ihnen verkörperten Rollen hinaus exponiert. Die dezidiert exophone Wendung − so lautet die zugrundeliegende These − besteht in ihrer auf Handlungsfähigkeit ausgerichteten Strategie in der Inszenierung des Akzents als wandernde „Sprachstörung“. In Bewegung kommt diese, da das Sprechen mit und ohne Akzent im Handlungsverlauf nicht mehr an bestimmten Körpern festgemacht werden kann, ahmen doch alle Beteiligten jeweils das Sprechen der „Anderen“ nach. Die Nicht-Feststellbarkeit der „Sprachstörung“ widersetzt sich der Urteilsbildung durch das Publikum. Gestört wird hingegen der Antagonismus von „wir“ und „sie“, dessen Subversion der Theatertext bereits anleitet und in der Inszenierung eine weitere Dimension entfaltet: So beunruhigt das Gegeneinander-Führen der wienerisch-dialektalen Färbungen des Textes und seiner vom Hamburger Dialekt durchsetzten Inszenierung nachhaltig jedwede Konstruktion von Regionalität und Zuordenbarkeit, folglich auch von eindeutiger Identifikation.
Mit dieser agonistischen Wende erfährt der Blick auf Jelineks Spracheinsätze eine Umperspek-tivierung, indem die ihren Texten zugeschriebene Polyphonie darüber hinaus als Exophonie veranschlagt wird.
7.10.2015
Informationen zu Julia Prager