Susanne Teutsch: „Ich bin in der Welt enthalten, aber die Welt ist auch in mir enthalten“: Pierre Bourdieu, Mircea Cărtărescu und Elfriede Jelinek

Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2016)

Das gemeinsame Dilemma europäischer Literaturen ist ihre Beschränkung auf nationale Kriterien. Pierre Bourdieu hat mit seiner Theorie des literarischen Feldes eine Makrostruktur geschaffen, in der sich Literatur nach transnationalen Kriterien verorten lässt. Das literarische Feld erstreckt sich soweit, wie die Wirkung eines bestimmten Werkes, Übersetzungen überwinden die Sprachbarrieren ihres ursprünglichen Raumes und treten dadurch mit anderen Werken in Beziehungen, die durch ihre Kräfteverhältnisse bestimmt werden. Dabei ist es notwendig, nicht nur sichtbare Interaktionen zu betrachten, sondern vielmehr jene Raumstruktur zu berücksichtigen, die den Interaktionen Form und Gestalt verleiht. Es geht darum, den Raum der Stellungen oder Positionen zum Raum der Stellunggnahmen oder Dispositionen ins Verhältnis zu setzen, d.h. die Beziehung von Feld und Habitus zu erforschen. Nach Bourdieu ist der Habitus die sozialisierte Subjektivität, er leitet die Praxis an, determiniert sie aber nicht. Die strengsten sozialen Befehle richten sich dabei nicht an den Intellekt, sondern an den Körper.
Sowohl in Elfriede Jelineks Roman Die Kinder der Toten als auch Mircea Cărtărescus erstem Teil der Orbitor-Trilogie Die Wissenden dominiert eine transformative Körperlichkeit, die sowohl Figuren als auch Orte und Gebäude erfasst und in einem realen Verhältnis zu Vergangenheits- und Erinnerungsdiskursen steht. Ziel ist es, die beiden Werke, die als jeweiliges Opus Magnum gelten, basierend auf Bourdieus soziologischen Ausführungen in Bezug zueinander zu setzen. Als Grundannahme gehe ich davon aus, dass die soziale Realität dabei zweimal existiert; in den Sachen und in den Köpfen, in den Feldern und im Habitus: der Autor / die Autorin ist demnach Teil des Textes und der Text Teil des Autors / der Autorin. Das Feld der Macht sind deswegen die Texte selbst, die als Raum der Kräftebeziehungen zwischen ProtagonistInnen und Institutionen dienen. Im Fokus stehen ihre Interessen und Auseinandersetzungen, die der Bewahrung oder Veränderung des relativen Wertes ihrer Machttitel bzw. Kapitalsorten gelten, was sich schlussendlich auch auf die Autonomie der literarischen Ordnung auswirkt und in welchem Verhältnis sie zur ökonomischen Welt steht.

7.10.2015

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