Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2016)
Elfriede Jelinek veröffentlicht auf ihrer Homepage regelmäßig auch Texte, die auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen, häufig Unglücke, Bezug nehmen. So wird beispielsweise in Nach Nora die Katastrophe von Dhaka thematisiert., bei der am 24.04.2013 über 1100 Menschen starben, Kein Licht stellt eine Auseinandersetzung mit der Katastrophe von Fukushima dar. Diese Texte basieren einerseits auf konkreten Geschehnisse, Katastrophen und Skandalen, sind aber andererseits in ihrer Aussageabsicht „universal“ auf globale Entstehungsmuster und Zusammenhängegerichtet. Dadurch wird ein zwischen Konkretion und Abstraktion, Nähe und Ferne wechselnder Blick erzwungen. Er wird zum einen geographisch nach Europa zurück-, zum anderen intratextuell auf frühere Texte Jelineks zurückgelenkt (oft durch den Zusatz „Epilog zu…“).
Die Verbindung von aktuellen Anlässen mit wiederkehrenden Themen, Topoi und Verfahren, die in Jelineks Werk eine besondere Rolle spielen (wie Unterdrückung von Frauen, sexuelle Gewalt, Kapitalismuskritik), lässt sich in vielen der Online-Texte nachweisen. Die Polyrelevanz dieser Texte erwächst gerade aus ihrer mangelnden inhaltlichen Restriktion. Es ist deswegen auch vorstellbar, dass die Texte aufgrund ihrer globalen Bedeutung international ähnlich rezipiert werden.
Bei dem Text Im Verlassenen, der eine relativ zeitnah erfolgte Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsfall von Amstetten (bekanntgeworden 2008) darstellt, ist die Analyse übergeordneter Zusammenhänge wie auch der Reaktionen auf den Kriminalfall spezifischer und exklusiver – fokussiert auf Österreich. An diesem Text, ebenfalls auf der Homepage der Autorin veröffentlicht, soll exemplarisch dargelegt werden, welche Themen und Themenkomplexe Eingang in den Text gefunden haben und wie dadurch ursächliche Zusammenhänge zwischen der Tat eines Einzelnen und der österreichischen Gesellschaft insgesamt belegt werden sollen. Ausgehend von der inhaltlichen Dichte des relativ kurzen Textes wird der Frage nachgegangen, ob die zahlreichen historischen, kulturellen, politischen und auch religiösen Kontexte sich in anderen europäischen Ländern überhaupt erschließen lassen oder erst mit Hilfe eines Kommentars die Rezeption ermöglicht oder erweitert wird. Anhand der im Text identifizierbaren Diskurse soll außerdem die Frage verfolgt werden, ob eine philologische Kommentierung von Im Verlassenen ihre rezeptionsunterstützende Wirkung in unterschiedlichen Sprach-‐ und Kulturräumen gleichermaßen entfalten kann, obwohl Im Verlassenen ein spezifisch österreichischer Text ist. Dieser Aspekt wird komparatistisch untersucht, indem exemplarisch in der polnischen Gegenwartsliteratur (z.B. im Werk von Manuela Gretkowska) Entsprechungen jener Diskurse aufgezeigt werden, die in Jelineks Text Im Verlassenen vorzufinden sind. Ihre Analyse soll verdeutlichen, ob sie auf die gleiche oder ähnliche Weise miteinander verknüpft werden, wie es im Originaltext der Fall ist, und inwiefern ein philologischer Kommentar dieses Textes intertextuelle Differenzen berücksichtigen muss.
8.10.2015
Informationen zu Darius Watolla