Bachelorarbeit
Anthropophagie, also der Verzehr von menschlichem Fleisch, stellt seit Menschengedenken einen der unsäglichsten Tabubrüche abendländischer Gesellschaften dar. Diente der Vorwurf der „Menschenfresserei“ üblicherweise zur Abgrenzung der eigenen, „zivilisierten“ und damit überlegenen Gesellschaft gegenüber den „Wilden“, so kann hinter solch einem bloßen Distanzierungsversuch oftmals noch weit mehr verortet werden. Wenn sich Elfriede Jelinek nun in ihrem Theaterstück aus dem Jahr 1988 in Sachen Handlungsverlauf und Sprachduktus durchaus bemerkenswert an die Vorlage Häuptling Abendwind von Johann Nestroy anlehnt und bereits bei Nestroy das Motiv des Kannibalen und die mit ihm verbundene Verwendung als Metapher nicht zufällig gewählt war, so treibt Jelinek dieses Spiel nochmals auf die Spitze. So offenbaren sich, unter der Prämisse einer historisch-kontextualisierten Betrachtungsweise, unter der „Hülle“ des Kannibalen in Präsident Abendwind und seiner einfältig-polemisierenden Wesensart scharfe Kritik an vorherrschender Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Wert- und Moralvorstellungen bezogen auf ebenjene und nicht zuletzt auch ein überaus deutliches Unbehagen gegenüber dem Ausgang einer zeitnah zum Erscheinen des Stücks erfolgten Österreichischen Bundespräsidentschaftswahl.
20.4.2017