Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)
Wie die anderen Theatertexte Elfriede Jelineks bildet Wolken. Heim auch eine Montage von Zitaten, die aus der deutschen idealistischen Philosophie und Dichtung, den Briefen der RAF, hauptsächlich vom Gedankengut, „die durch die Geschichte ihre Unschuld verloren haben”1) , entnommen sind. Die Gemeinsamkeit der von Jelinek bearbeiteten Texten besteht darin, dass sie didaktische Funktion haben und an Nationalgefühle appellieren2). Aus diesem Grund wurden viele davon von Nationalsozialisten übernommen, instrumentalisiert und als Propaganda genutzt.
In Wolken. Heim sind die fremden Textpassagen verändert, verkehrt und in neuen Kontext eingebaut worden. Die Autorin benutzt die Vorlage, um etwas über die eigene Welt zu sagen, was das Grundprinzip der Parodie darstellt3). Durch die Deformation, Imitation des Stils, das Parodieren des offiziellen Kultes – der Ideologie von Nation und Heimat, wird das Thema transformiert. So befasst sich das Stück mit dem Verhältnis von Identität und ethnischer Alterität4): ein kollektives, selbstzufriedenes Subjekt („Wir sind wir und wohnen gut in uns“5)) richtet sich gegen die Anderen, räumlich Fremden: „und wie Furien zerstören wir Nachbarschaft, wo andre gewachsen sind. Die müssen fort! Nur uns leuchtet über festem Boden das Leben“6).
Der Text, der erst 1988 geschrieben wurde, verliert seine Aktualität auch heute nicht, wenn die Einwanderung und das sogenannte Fremde ein stark debattiertes Thema in ganz Europa bleibt. Anliegen des Aufsatzes ist aufzuzeigen, wie im literarischen Diskurs die Parodie für die Kritik der Xenophobie und Chauvinismus, für die Anklage an Instrumentalisierung der Kunst und für Stellungnahme gegen Ausländerfeindlichkeit benutzt wird.
Fußnoten
1) Seegers, Armgard: „Menschen interessieren mich nicht“, Elfriede Jelinek im Gespräch. In: Hamburger Abendblatt, 21.10.1994.
2) Vgl. Sander, Margarete: Textherstellungsverfahren bei Elfriede Jelinek. Das Beispiel Totenauberg. Würzburg: Königshausen und Neumann 1996; Kaplan, Stefanie: „Fern noch tönt unser Donner“. Zur literarischen Transformation der Lyrik Friedrich Hölderlins in Elfriede Jelineks Wolken. Heim. Wien, Dipl. 2006.
3) Vgl. Wirth, Uwe: Parodie. In: Wirth, Uwe (Hg.): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart: Metzler 2017, S. 26-30.
4) Vgl. Schonlau, Anja: Gender und Ethnizität als differierende Prinzipien postdramatischer Figurenkonzeption in Elfriede Jelineks frühen Theatertexten. In: Birkner, Nina / Geier, Andrea / Helduser, Urte (Hg.): Spielräume der Anderen. Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater. Bielefeld: transcript Verlag 2014, S. 41-59.
5) Jelinek, Elfriede: Stecken, Stab und Stangl. Raststätte oder sie machens alle. Wolken. Heim. Neue Theaterstücke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1997, S. 148.
6) Ebd., S. 142.
2.7.2018
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