Julia Prager: Enteignende Verschränkungen – Diffraktive Verfahren bei Elfriede Jelinek.

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

Die Art und Weise, wie Jelineks Textverfahren Texte, Medien, Zeiten und Räume miteinander verschränken und einzelne Worte (über eine Klassifizierung als Motive oder Topoi hinaus) zu Knotenpunkten dieser Zusammenkommen verdichten, lässt sich aus der Perspektive neuerer Entwicklungen literaturwissenschaftlicher Forschung auch als „diffraktive“ Verfahrensweise beschreiben. Die optische Denkfigur der Diffraktion, die insbesondere von Karen Barad zu einer wissenskritischen Analysefigur ausgearbeitet wurde, meint eine Befragungs- und Verfahrensweise, die auf eine Verschränktheit (entanglement) von Subjekt und Objekt abhebt. Sie geht nicht von präexistierenden Einheiten aus, sondern von aus Intra-Aktionen hervorgehenden Elementen, wobei jegliche Materialität agentiell bestimmt wird. Dieser Ansatz ist mit Alterität verknüpft und lässt sich als kritische Haltung verstehen, eine (postsouverän gestaltete) verantwortliche Position einzunehmen, die aus der unhintergehbaren Verbundenheit des Selbst mit dem und den Anderen hervorgeht. In der
Weiterentwicklung des Ansatzes zur Analyse von ästhetischen Verfahren richtet sich die
Aufmerksamkeit auf die ethisch-politische Potentialität, die sich aus den spezifisch verschränkenden Verfahren radikaler Performativität, Intradisziplinarität und Intramedialität ergibt.
Unter diesem Blickwinkel möchte der vorgeschlagene Beitrag das Zusammenkommen von Texten bzw. von (diffraktiven) Lektüren anderer Texte, die Jelineks Stücke (etwa die Prinzessinnendramen) selbst vollziehen, von medialen Konstellationen (insbesondere Bild-Text-Anordnungen in den Online-Texten sowie von Text und Theater in den theatral agierenden Texten) sowie von (kulturell geprägten) Raum-Zeiten fokussieren. Es soll zum einen gezeigt werden, wie durch das radikale Verfahren der brechenden Verschränkung invektive Redeweisen (etwa die mit den Autorinnen Sylvia Plath, Ingeborg Bachmann und Marlen Haushofer veschränkten Sprechabsätze im V. Prinzessinnendrama) zu Gunsten eines „anderen Verstehens“ umgewandelt werden, um gerade dem Anderen Raum zu geben. Zum anderen sollen die Verflechtungen von kulturellen Räumen und Zeiten (beispielsweise durch die Verschränkung von mythischen und religiösen Symbolen wie dem Widder als transkulturelles Opfertier) in den Blick kommen, die eine prinzipielle Verbundenheit des Einzelnen mit (allen) anderen zum Ausdruck bringen, ohne aber Differenzen einzuebnen. Die Texte – so soll gezeigt werden – vollziehen eine kulturelle Übersetzung im Butler’schen Sinne, indem sie Verbindendes mit Unüberbrückbarem und konkurrierende Universalismen zusammenkommen lassen.

2.7.2018

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Juan José Monsell Corts: Implizite Gewalt in der Alteritätsbeziehung in Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek.

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

In ihrem Theatertext Die Schutzbefohlenen verleiht Elfriede Jelinek den Ereignissen der Jahre 2012-2013 in Bezug auf die AsylbewerberInnen, die mit der Besetzung der Wiener Votivkirche und einem Hungerstreik gegen die österreichische Asylpolitik protestierten, eine künstlerische Form1). Das Werk besteht aus 27 Abschnitten, die jeweils durch einen Zeilendurchschuss voneinander getrennt sind, und enthält weder Figuren noch Regieanweisungen in Bezug auf Raum oder Zeit. In diesen Abschnitten verwirklicht sich eine Strömung von verschiedenen Stimmen, die in einem allgemeinen ,,wir“ konvergieren und die mit einem abwesenden Gesprächspartner zu kommunizieren versuchen. Das ,,du“ und das ,,ihr“, an die die Stimmen sich wenden, erscheinen nicht im Text. Es gibt keine Antwort für die Bitten des ,,wir“. Das bedeutet, dass sich die Verbindung zwischen dem Ich und dem Anderen als unmöglich erweist. Aber im Fall von Die Schutzbefohlenen werden die Rollen des Ichs und des Anderen umgekehrt. Wer spricht, wer sich kommunizieren will, ist nicht das Ich, sondern der Andere, der wegen seines Status von Alterität nicht verstanden werden kann. Die schon erwähnten Stimmen können nicht gehört werden, weil sie die anderen Stimmen sind, d.h. die Stimmen von den Anderen, die weder zeitlich noch räumlich existieren, die sich außerhalb des neoliberalen abendländischen Diskurses befinden. Diese Stimmen gehören im Sinne der Philosophie von Levinas dem Armen, dem Fremden, der Witwe und der Waise2). Die Gewalt wird nicht aufgrund des Willens des Ichs erzeugt, das Andere in das Selbe umzuwandeln, sondern aufgrund der Unmöglichkeit seitens des Anderen, das Selbe zu werden. Das Andere ist verurteilt, unhörbare Worte auszusprechen, die nicht mehr als ein gewaltiges Schweigen sind. Für dieses Andere ist das Ich (das ,,du“ und das ,,ihr“ in Die Schutzbefohlenen), von dem es endlos entfernt ist, auch eine Alterität: Es ist der große Andere im Lacan’schen Sinn3). Das bedeutet, dass es nicht nur ein Subjekt ist, sondern auch eine Unendlichkeit. Deswegen verweist man auf den großen Anderen mittels wirtschaftlicher und religiöser Begriffe4). An dieser Arbeit werden die Stelle des Anderen und seine Gewaltbeziehung mit dem Ich analysiert.

Fußnoten
1) Szczepaniak, Monika / Agnieszka Jezierska / Pia Janke (Hg.): Jelineks Räume. Wien: Praesens 2017.
2) Lévinas, Emmanuel: Totalité et infini. Paris: LGF 1990.
3) Lacan, Jacques: Écrits. Paris: Seuil 1966.
4) Han, Byung-Chul: Topologie der Gewalt. Berlin: Matthes und Seitz 2013.

2.7.2018

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Verena Meis: (Keine) Tiere erforderlich! – Animalische Alteritäten bei Elfriede Jelinek

Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

Frontex ein Delphinmann, der Flüchtling eine Qualle, eine fliegende Kuh unterstelltes Fluchtmotiv – drei Kuriositäten, die den amüsanten wie ernst gemeinten Hinweis unter den Dramatis personae in Yellow Line von Juli Zeh und Charlotte Roos, es seien „[k]eine Tiere erforderlich“, negieren:
In Margareth Obexers Die Fliegenden Holländer taucht eine mahnende Hubschrauberflotte namens „Triton“ am Himmel auf, um zwei zurückgebliebene Passagiere – einen Historiker und einen Bestattungsunternehmer – des Kreuzfahrtschiffes „Coraggio“ im Mittelmeer daran zu hindern, Flüchtlinge an Bord zu nehmen und sich so der Beihilfe zur unerlaubten Einreise schuldig zu machen. Die ungeahnte Begegnung mit einem Flüchtlingsboot hindert sie an der Weiterreise nach Lampedusa und der Teilnahme am Kongress „Europaweites Unbehagen zu den Erscheinungen an den europäischen Rändern“, bei dem der Bestattungsunternehmer Profit darin wittert, mittels Schleppnetz nicht Fische, sondern ertrunkene Flüchtlinge zu fischen. Der Historiker hingegen vertritt die wahnwitzige These, wir seien alle fliegende Holländer, dazu verdammt, nur in Seenot Geratene zu retten, „weil Regierungen die Rettung untersagen“ und „Gesetze die Hilfe verbieten“.
Den „Abgang ins Wasser“ machen in Elfriede Jelineks Die Schutzbefohlenen, Coda nicht nur die Flüchtlinge, die „zum alsbaldigen Verzehr durchs Meer bestimmt“ sind, sondern auch der „Mann in der grünen Badehose“, der Schlepper, der sich ebenso wie die Grenzschutzbeamten als „Delphinmann“ entpuppt. Derweil treiben die Geflüchteten nicht auf, sondern unter Wasser – genauer: unter Quallen – und erwägen notgedrungen Obdach auf dem Meeresgrund.
So wie Fluchtwege nicht nur über Land, sondern auch über Wasser führen, so sind gleichermaßen nicht nur Wasser-, sondern auch Landtiere literarstrategisch „erforderlich“: Nachdem Asch-Schamich in Seenot gerät, weil sein Fischerboot durch eine vom Himmel herabgestürzte Kuh sinkt, unterstellt ihm der Grenzschutzbeamte namens Frontex ob des haarsträubenden, sich jedoch letztlich als wahr erweisenden Vorfalls Fluchtintentionen: „Fliegende Kühe, was?“ Nicht nur Yellow Line führt so die Trias von Asylsuchendem, Beamten und Dolmetscher grundlegend ad absurdum.
Der Beitrag verhandelt die These, dass Alterität immer auch animalisch konnotiert ist und beleuchtet unter diesem Gesichtspunkt Theatertexte von Elfriede Jelinek und weiteren Dramatiker*innen.

2.7.2018
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Arati Kumari: Elfriede Jelinek’s Theater Texts – A Case of Drifting and Rhizome Making.

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

While documenting (the facts in aesthetic ways), crafting the language to point out at some particular consciousness (basing it on philosophical discourses), incorporating (the reports, the poems etc.) inserting the images, (to enhance the message of the play), using montage technique (for arranging quotes from German thinkers), she is ‘doing’ things with the materials. Jelinek works with various existing materials and present them as theater piece, one needs to approach her work through one’s understanding of those material, because the existing material also enter into new ways, and in new light, in a new context, according to Jelinek’s strategy. The works get crafted by the playwright and pass by her. Her work emerges through the epistemology of doing by the writer and it further demands from the one who engages with her work to get involved in the epistemology of doing as well. Why? What factors in her works indicate at the aspect of doing things with her work, in the place of conventional engagement with a literary work that was representational in nature and proposed ‘seeing’, I would like to explore within the scope of this paper. Deleuze and Guittari while engaging themselves with the concept of rhizome, say, ““We will never ask what a book means… We will ask what it functions with, in connection with what other things it does or does not transmit intensities, in which other multiplicities its own are inserted and metamorphosed, and with what bodies without organs it makes its own converge.” It is the other with which a work transmits and with certain intensity it transmits, which connects to the functionality of a rhizomatic work. While I am reading Jelinek’s theater texts, I will let her work and the theory of rhizome intersect in one section and in another the theory of drift and her work intersect.

2.7.2018

Informationen zu Arati Kumari

Anastasia Khomukhina: Sekundäre Praktiken: Kritiker und Parasiten

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

Das Projekt befasst sich mit den sekundären Praktiken in der Gegenwartsdramatik. Es ist ein Teil des Dissertationsprojektes, das die metaphorischen Bezeichnungen der Bearbeitungsstrategien fremder Stoffe in den modernen Theatertexten untersucht. Im Zentrum der Betrachtung stehen zwei Konzepte, die Elfriede Jelinek in Bezug auf ihre Theatertexte herausgearbeitet hat – Parasitär- und Sekundärdramen.
Beide Modelle implizieren eine starke Auseinandersetzung mit den fremden Stoffen, weisen aber auf unterschiedliche Methoden und Praktiken hin. Die Sekundärdramen, die eine kommentierende Haltung gegenüber einem klassischen Text voraussetzen, kreieren eine Spannung zwischen der Wiederbelebung des fremden Stückes auf der Bühne einerseits und dem aktiven Angriff und Dekonstruktion von demselben Text durch die Unterbrechungen und Verdrehung der Zitate andererseits. Die gewählten „Primärdramen“ sind überdies Teil des Kulturerbes, was ihre Wahrnehmung als „Fremde“ oder „Eigene“ ambivalent macht und Fragen nach unserer Beziehung zu dem identitätsstiftenden Kanon aufwirft.
Die Parasitärdramen implizieren eine höhere Integrierbarkeit vom fremden Text in das eigene Stück, die „Einverleibung“ und Verschmelzung von fremden Material im Gegensatz zu der polarisierenden Gegenüberstellung in Sekundärdramen. Anstelle des Dichotomieverhältnisses des Eigenen und des Fremden kommt mit dem Begriff des Parasiten die Figur des Dritten ins Spiel. Die Figur, die einerseits die existierenden Beziehungen aufstört, um aber die neue Ordnung zu schaffen. Die entlehnten Stoffe und Textteile werden somit dem Primärkontext entzogen und in die neuen Verhältnisse zueinander gesetzt.
Das Projekt setzt sich also zum Ziel, beide metaphorischen Begriffe auf ihr Bedeutungs- und Analysepotenzial zu untersuchen, die erzeugten Spannungsverhältnisse zwischen dem Fremden und dem Eigenen auf Basis ausgewählter Texte zu verfolgen und die Position der Theatertexte gegenüber dem Kanon näher zu bestimmen.

2.7.2018

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Rose-Anne Gush: Artistic Labour on Violence: the work of Elfriede Jelinek

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

This paper will explore the nexus of violence and labour as they appear in relation to the body in Elfriede Jelinek’s oeuvre. It will do this by first, examining the differential but overlapping forms of violence found in her work: sexual violence, fascistic, or racialized violence and linguistic violence in texts such as: Lust (1989), Totenauberg (1991) and essays such as, Der Krieg mit Anderen Mitteln (1983), Was zu fürchten vorgegeben wird (1999) and Das Weibliche Nicht-Opfer (2004). Secondly, rather than solely focusing on representation: how the Other is posited in Jelinek’s texts, I will argue that they demonstrate a relation to labour both in terms of their process of making (through a mimetic relation to the world), and what they represent: violent processes of construction, expropriation and destruction of the Other. Through close reading of the above texts I will attempt to show how violence in Jelinek’s constructions, often in historically and culturally specific manifestations, both returns to and exceeds the mode of production: capitalism. Finally, I will argue that it is Jelinek’s incisive linguistic critiques of capitalist social relations, which, I posit as the continuity between ‘democracy’ and ‘fascism’, which renders her works most urgent in the present, in Austria, Europe and beyond.

2.7.2018

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Natalia Fuhry: Sprechen gegen Xenophobie? Über die Grenzen von Sprache zur Überwindung von Fremdenfeindlichkeit in Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“

Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

Inwieweit können Reue und die Anerkennung von Schuld eine gesellschaftliche Veränderung hervorrufen? Ist das Sprechen ein wirksames Mittel, um aus der Vergangenheit zu lernen?Die Demaskierung und Aufarbeitung des Antisemitismus‘ der Nazi-Zeit – die grausamste Folge von Fremdenfeindlichkeit im 20. Jahrhundert – ist ein wiederkehrender Topos in den Texten Elfriede Jelineks. Rechnitz (Der Würgeengel) von 2008 war ihr künstlerischer Beitrag zum im Jahr zuvor aufgekommenen Diskurs, der die Täter der Mordnacht in den Fokus rückte. Jelineks Theatertext stellt jedoch keine neuen Thesen zu den Verantwortlichen am Massaker auf, sondern verbindet Gerüchte, Fakten sowie Stimmen aus der Gesellschaft miteinander und macht die Sprache der Täter zum Ausstellungsstück. Boten berichten über die Mordnacht und brechen als repräsentative Zeugeninstanzen das Schweigen der Mörder. Sie holen die Taten aus dem Verborgenen in die Gegenwart und erweitern damit nicht nur aktiv den Kreis der Mitwissenden, sondern konfrontieren die Leserschaft bzw. die Zuschauer mit dem Massaker, wodurch ein reinigendes Potential im Sinne der Katharsis entsteht. Durch die vor allem im Theater unausweichliche Präsenz des Verdrängten und damit der Beförderung dessen aus dem Unbewussten ins Bewusstsein, eröffnet sich ein Reflexionsraum, der sowohl Reue evozieren als auch von therapeutischer Wirkung sein kann. Das Durchbrechen des Schweigens scheint ein heilender Weg, der zwar nicht mehr die Täter, aber doch die kollektive Seele der Nachfolgegenerationen reinigt bzw. heilt.
In meinem Vortrag wird zu zeigen sein, dass Jelineks Theatertext Momente der Katharsis produziert, diese jedoch im selben Zuge zerstört und damit die kontroverse Diskussion über den Begriff der Katharsis fortsetzt. In Rechnitz (Der Würgeengel) wird die reinigende Wirkung des Sprechens als Heuchelei entlarvt. Mit welchen vor allem sprachlichen Mitteln der Text diese Dekonstruktion vollzieht, soll der Analyseschwerpunkt meines Vortrages sein.

2.7.2018
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Janik Hauser: Zschäpe. Eine überschreibende Rezeption rechtsnationalistischer Terrorakte durch Elfriede Jelinek (AT)

Forschungsprojekt
(für Nachwuchsworkshop 2018)

Wer ist dieses schweigende Mädchen, von dem Es / Elfriede Jelinek in dem Theatertext Das schweigende Mädchen spricht? Man könnte meinen: die Terroristin B. Zschäpe. Dann könnte man sich weiter fragen: Die Zschäpe aus den durch den Verteidiger verlesenen Selbstdarstellungen, die von Fotos, die aus der Meinungsspalte der großen Zeitungen, die, die im Endeffekt auf den Brettern stehen soll, die die Welt bedeuten oder ein polyphoner Abgesang auf die Kommensurabilität all jener?
Die Inszenierung Johan Simons ’an den Münchner Kammerspielen fokussiert sich auf einige ikonische Momente der ikonoklastischen (Paulchen Panther steht hier gleichberechtigt neben den durch das SZ-Magazin angefertigten Protokollen (d.i. die ironische Zementierung eines Kanons?)) Sprechflut aus dem Schweigenden Mädchen. Es scheint die Autorin die Referentialität der Bekennertexte und -Videos zu interessieren, welche wiederum durch die Theatermacher als Anker in einem wilden Gewässer aus Deutungsprovokation und Deutungsverweigerung dankbar abgegriffen werden. Diese Beobachtung interessiert mich sehr. Vergleichend soll der zweite Teil des Aufsatzes die Lücke zwischen Versprachlichung von Schweigen und deren Verkörperung ausleuchten. Ich studiere Dramaturgie im Master an der Goethe-Uni und erwarte mir von der Colloquiums-Gruppe des Instituts bei der Entstehung des Beitrages geringfügige Unterstützung) bei der Behandlung der Fragen:
Wie viel Auflösung verträgt ein zeitgenössischer Text zu einem Ereignis mit höchster politischer Brisanz? Und v.a. wie wird diese Auflösung linguistisch/stilistisch von der Autorin hergestellt? Wie knüpfen die Inszenierungen daran an und welche Transmedialen Abstriche werden dabei erforderlich, welche Störungen / Zwischenräume entstehen?
Noch eine Beobachtung: Vor Gericht, die Strafprozessordnung macht das deutlich, herrscht das Mündlichkeitsprinzip. Das heißt, dass alles, was in dem Prozess des Verhandelns von (was ist) Realität Beachtung finden soll, auch mündlich zutage getreten sein muss. D.i. m.E ähnlich wie der Gedanke der Flachheit (d.i flattnes. s.a. Juliane Vogel) aus den Jelinektexten: Alles was im Verborgenen schlummert, muss an die Oberfläche. Der Schmutz, die Lüge, der Freudsche Versprecher, die Verdrängten, wie die gänzlich unbearbeiteten Traumata. (Kennt Jelinek die Grundzüge der Strafprozessordnung? Was (d.i. das Dispositiv?) interessiert sie daran?). Ich möchte durch ein eingehendes Studium des Textes implizite Reflexionen auf Sprechakt, Diskurstheorie, Machtkritik, Sprachkritik zutage befördern. Theoretische Schützenhilfe suche ich hierfür bei Heidegger, Austin, Benjamin, Martin J. Stone und Anderen. Ich hoffe, die Jungs sind zugänglich. Sonst stehe ich wieder ganz alleine da.
Im letzten Teil werde ich mit Habermas und Mrtin J. Stone die (etwas defätistische) Gegenfrage stellen: Was bringt die Literatur dem Recht ein? Kann/ darf es eine Interferenz geben? Ist das Stück ein Gegen-Prozess, in dem die gleichen oder andere Regeln herrschen? Soll der NSU-Prozess in actu kritisiert werden?

2.7.2018
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Eva Van Daele: The Absence of Traditional Characters in Philippe Manoury’s Thinkspiel „Kein Licht“ (2011/2012/2017)

Forschungsprojekt
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

In 2017, Philippe Manoury joined the list of composers who have worked with the writings of Elfriede Jelinek. Philippe Manoury worked with director Nicolas Stemann, known for his open creation process, to create a new genre of music theatre called Thinkspiel, characterised by the „gemeinsames Wirken der Experimentalforschung, des abstrakten Denkens und der „Sprache“ der Kunst“ (Manoury 2017).
Informed by Bärbel Lücke’s discussion of „Wer spricht?“ in Jelinek’s theatre text Kein Licht (2012) and Stefan Drees’s analysis of how composer Olga Neuwirth treats Jelinek’s text and speech (2013), this paper examines how Manoury and Stemann in their Thinkspiel Kein Licht (2011/2012/2017) handle the lack of characters in the texts of Elfriede Jelinek. The allocation of text to the voices and the bodies on the stage and the tension between hearing and not hearing the other voices on the stage is the focus of my musicological analysis of the auditive network that consists of multilingual speech and song, non- textual human and non-human vocal expressions and acoustic and electronic sounds. I will demonstrate that the absence of clearly defined characters does not impede meaningful relationships between the voices and the bodies on the stage and that the resulting hybrid fabric of voices and ideas might be an essential feature of this new genre of Thinkspiel.

2.7.2018

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Anna Brod: Chancen und Grenzen künstlerischer Auseinandersetzung mit dem NSU in Elfriede Jelineks „Das schweigende Mädchen“

Teilaspekt des Forschungsprojekts
(für den Nachwuchsworkshop 2018)

Der Literaturwissenschaftler Andreas Heimann konstatiert in seinem Aufsatz Den Untergrund erzählen, dass in Jelineks Theatertext Das schweigende Mädchen, der
sich auf die Verbrechen der neonazistischen Terrorgruppe NSU (‚Nationalsozialistischer
Untergrund’) und deren juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung im sog. NSU-Prozess bezieht, „die generelle Möglichkeit einer Bewältigung der Geschehnisse in der künstlerischen Auseinandersetzung in Frage“1) gestellt werde. Mein Beitrag für den Nachwuchsworkshop, der ein Teilkapitel meines Dissertationsprojekts und eine Fortsetzung meiner im letzten Workshop vorgestellten Überlegungen darstellt, versteht sich als Widerrede: Auch wenn im Theatertext permanent Wissen infrage gestellt wird, wenn beispielsweise die Figuren ‚Engel’ und ‚Propheten’ sowohl in juristischer als auch in religiöser Hinsicht an ihrer Aufgabe des Bezeugens scheitern oder die Position des Bezeugens wie von der auf die Autorin verweisenden Figur ‚Ich’ gänzlich abgelehnt wird, bedeutet das keine grundsätzliche Absage an das Wirkungspotenzial politischer Kunst. Mein Ziel ist es zu zeigen, dass Jelinek ihrem Theatertext, der für eine Aufführung vor ZuschauerInnen bestimmt ist, vielmehr das Potenzial zuschreibt, als Schauspiel eine Erfahrung des Erschauens zu ermöglichen, die rein diskursive Erkenntnis (ratio bzw. dianoia) überschreiten und eine intuitive Einsicht in größere Zusammenhänge (intellectus bzw. nous) ermöglichen kann. Dazu analysiere ich die intertextuellen Bezüge in Das schweigende Mädchen zu Giorgio Agambens Das unsagbare Mädchen und stelle Elemente aus den beiden Inszenierungen in München und Dortmund vor, die dies Form der Erkenntnis unterstützen können.

Fußnoten
Heimann, Andreas: Den Untergrund erzählen. Textuelle Verfahren der Leerstelle und des Unbestimmten in Elfriede Jelineks Das schweigende Mädchen. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik & Literatur 20 (2016), Nr. 31 Untergrund, S. 7‐11, hier: S. 10.

2.7.2018

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