Gisele Eberspächer: Formen und Funktionen der Komik: Komik und Übersetzung in dem Werk Elfriede Jelineks

für den Nachwuchsworkshop 2022

Mein Dissertationsprojekt umfasst eine Untersuchung des Komischen im Werk von Elfriede Jelinek, vor allem in seinen kritischen und politischen Aspekten innerhalb eines feministischen Theoriefeldes, und eine Debatte über die Übersetzung dieser Aspekte, die durch die Übersetzung eines Teils der Werk der Autorin in die Praxis umgesetzt wird.
Ausgehend von Theorien zur Theaterübersetzung (Bsp. Aaltonen, 2000;1 Bassnett, 20062 usw.) und Feminist Translation Studies (Bsp. Bassnett, 2006;3 Von Flotow, 20074 usw.) verstehe ich jede Übersetzung auch als Interpretation eines Ausgangstextes. Das bedeutet, dass Übersetzung niemals die neutrale Übertragung von formalen und semantischen Eigenschaften eines Textes, sondern die Produktion eines neues Textes ist.
Ich interessiere mich besonders dafür, die Funktion der Komik in der feministischen Kritik der Autorin zu untersuchen, also einen Dialog zwischen Komik- und Gendertheorien am Beispiel von Jelineks Theatertexten zu erarbeiten. Zu diesem Zweck untersuche ich die folgenden Fragen: Welche Rolle spielen Frauen bei der Entstehung, Übertragung und Rezeption der Komik? Wird das Geschlecht bei der Arbeit mit einem Komiktext berücksichtigt? Wird der Komik als eine Form der Subversion als feministische Kritik verwendet?
Das Buch ,,Komik und Subversion – Ideologiekritische Strategien“5, das im Rahmen des Interuniversitären Forschungsverbundes Elfriede Jelinek durchgeführt wurde, stellt bereits einige der Themen vor, die mich für diese Forschung interessieren. Mein Beitrag zielt daher eher darauf ab, diese Debatte mit der Übersetzung zu verknüpfen. Aufbauend auf Forschungen in diesem Bereich (z.B. Cixous6, 2013; Von Flotow7, 2007; Bassnett, 20068) stelle ich die Hypothese auf, dass Jelineks sprachlicher Humor, wie z.B. Wortspiele usw., zum kritischen Ton des Werks der Autorin beiträgt und eine Kritik im Gebrauch der Sprache selbst erzeugt. Meine Forschung würde sich also langfristig darauf konzentrieren, Übersetzungsstrategien zu finden, die diesen Aspekt im Portugiesischenerhalten.

PDF-Download des Beitrags

1Aaltonen, Sirkku: Time-Sharing on Stage: Drama Translation in Theatre and Society.Clevedon: Multilingual Matters Ltd 2000.
2 Bassnett, Susan: Writing and translating. In: Bassnett, S. & Bush, P. (Eds.). The Translator as Writer. London: Continuum 2006.
3 Ebda.
4 Von Flotow, Luise: Gender and Translation. In: Kuhiwczak, P. & Littau, L. (Eds.) A Companion to Translation Studies. Clevedon: Multilingual Matters Ltd 2007.
5 Janke, Pia / Schenkermayr, Christian (Hg.): Komik und Subversion – Ideologiekritische Strategien. Wien: Praesens Verlag 2019.
6 Cixous, Hélène: Das Lachen der Medusa. Wien: Passagen Verlag 2013.
7 Von Flotow, Luise: A Companion to Translation Studies.
8 Bassnett, Susan: Writing and translating.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Gisele Eberspächer

Marie-Theres Auer: „Bitte sich von der Ästhetik der kommerziellen Pornofilme inspirieren lassen!“


für den Nachwuchsworkshop 2022

Dieser Beitrag widmet sich in Form einer Diskursanalyse der Berichterstattung zur Uraufführung Raststätte oder Sie machens Alle von Elfriede Jelinek. Das Stück kam am 5. November 1995 am Burgtheater Wien zur Uraufführung, Regie führte der damalige Intendant Claus Peymann selbst. Der Aufführung wurde von einem regen Interesse der Medien begleitet, was auch daran lag, dass Peymann bzw. sein Presseapparat geschickt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Stückes lenkten: Etwa durch Peymanns Aussage, nach dem Stück müsse er aus Österreich auswandern2,  die (fast vollkommene) Geheimhaltung des Stücktextes sowie gezielte Informationsverbreitung über den angeblich wild pornografischen Inhalt des Stücks.3 Der angekündigte Skandal fand jedoch nicht statt, die meisten Kritiker waren von „dem Pornostück“ enttäuscht. Die Inszenierung wurde trotzdem die erfolgreichste des Theaters in diesem Jahr.4    

Das Ziel dieses Beitrags ist es nun, die Reaktionen auf das Stück genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei verortet die Arbeit sich nicht in einem literaturwissenschaftlichen Kontext, obwohl an die Jelinek-Forschung angeknüpft wird. Vielmehr wird der Blick auf die gesellschaftlichen Umstände gerichtet, die die Uraufführung des Werkes begleitet haben. Diesen Artikel verstehe ich als Vorarbeit zu meiner Masterarbeit im Fach Zeitgeschichte und Medien an der Universität Wien: Auf die Forschungsfragen können zu diesem Zeitpunkt vorläufige Antworten gegeben werden, die sich aus der Literaturrecherche und der genauen Analyse der Rezensionen ergeben, allerdings steht eine vertiefende Analyse der einzelnen Punkte noch aus. Meine Teilnahme an dem Workshop hat das übergreifende Ziel, mit Mentor*innen und Kolleg*innen auch darüber ins Gespräch zu kommen, bei welchen Fragestellungen noch die interessantesten Ergebnisse erwartet werden können.  Diese Arbeit entstand in einem Seminar zur Wirtschafts,- Sozial,- und Kulturgeschichte von Pornografie und Erotika, entsprechend wird der Fokus dieser Arbeit auf den Umgang der Rezensent*innen mit den im Stück aufkommenden pornografisch konnotierten Themen gelegt. Aus dem Forschungsinteresse leiten sich drei Hauptfragen ab: Welche Akteur*innen werden genannt und wie werden sie in den Rezensionen dargestellt? Welche Debatten um das Thema Pornografie werden aufgenommen und wie werden sie ausgetragen?  In einem dritten Abschnitt soll der Sprachgebrauch der Rezensionen analysiert werden: Welche sexualisierten Begriffe werden verwendet und welche Strategien werden damit verfolgt?


(Titel): Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Elfriede Jelineks Raststätte oder Sie machens alle, 1994, S. 69.

2 Kralicek, Wolfgang: Die Nackten und die Zoten. In: profil, 31.10.1994.

3 Vgl. etwa: ebd.

4 Vgl. Beil, Hermann (Hg.): Weltkomödie Österreich. 13 Jahre Burgtheater 1986-1999. Band II Chronik. Wien: Österreichischer Bundestheaterverband 1999, S. 311-312.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Marie-Theres Auer

Manuel Mairhofer: Jelineksche´ Verwandtschaften

für den Nachwuchsworkshop 2022

Jelineks Texte, bedienen sich der Mehrstimmigkeit, entwickeln ihre volle Performancetragweite in diesem Vielklang und sind dennoch im Abseits, im Stillen, im leisen Lesen von ganz anderer Lautstärke, von ganz anderem Klang.
Gibt es dieses eine Narrativ, welches uns in Jelineks Werken begegnet oder ist es vielmehr so, dass sich durch diese Mehrstimmigkeit erst die Möglichkeiten erahnen lassen, mit denen die RezipientInnen sich durch ihre Werke bewegen? Diese Bewegung reizt mich, diese Amplituden bis hin zur extremen Stille wodurch Jelinek dem Schauspiel vielleicht jene Wahrhaftigkeit zurückgibt, die es durch den Einfluss der neuen Medien verloren hat. Betrachten wir die Arbeit Elfriede Jelineks als Performancekonzept. Überall durchführbar, egal wie viele, aber viele. SpielerInnen, MusikerInnen, WissenschaftlerInnen.
Ausflüge in die Werke von Paul McCarthy, Roland Barthes und natürlich in die Werke von Elfriede Jelinek selbst. Gleichzeitig erhoffe ich mir durch den Austausch mit der MUK einen musikalischen Einfluss in Form von MusikerInnen für dieses Projekt. Als eine Art Schmuggeln von „Jelinek-Gut“ der ProtagonistInnen sollen in kurzen Sequenzen, diese geschmuggelten Fragmente wieder zusammengesetzt werden.
Christoph Schlingensief benutzte in einem Interview mit Teresa Kovacs das Rhizom in Bezug auf die Arbeit mit Elfriede Jelinek. „Wir sind, glaube ich, einfach zwei Personen, die – wie es in der Kunst immer wieder vorkommt – sich nie gegenseitig angegriffen und immer ergänzt haben, fast wie ein Rhizom, von dem man sagt, es gibt Bedürfnisse, und daher bricht es an allen möglichen Stellen aus.“1
Genau das, soll „Jelineksche‘ Verwandtschaften sein“, ein Ausbruch der einzelnen Disziplinen, ein Ausbruch der Jelinek-Welt in der Jelinek-Welt.

1Kovacs, Teresa: „Ich habe immer versucht, ihre Texte in Bilder zu übersetzen“. Christoph Schlingensief im Gespräch mit Teresa Kovacs. In: Janke, Pia: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum. Wien: Praesens Verlag 2010. S. 15-29, S. 20.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Manuel Mairhofer

Liselotte Van der Gucht & Jeanne Verwee: Die tote Frau spricht: neurodiverse Sprache in Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“

für den Nachwuchsworkshop 2022

Autorinnen sterben für die Kunst – buchstäblich, so Elfriede Jelinek. Dass viele Frauen heute Literatur veröffentlichen, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Autorinnen sich immer noch in einem “männlichen Ich” verkleiden müssen und ihre Texte bei der Rezeption weitgehend auf einen mythisierten biographischen Körper zurückgeführt werden.
Während der männliche Autor tot sein darf und seine Texte sprechen lässt, werden weibliche Autorinnen ständig zum Aussprechen ihres biografischen Ichs gezwungen. Jelinek reagiert auf dieses Ungleichgewicht, indem sie eine verkörperte Sprache des Widerstands ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Nicht nur widerstandsfähige lebende Autorinnen, wie sie selbst, sondern auch tote Frauen reden auf diese Art und Weise mit. Während schweigende Körper in der Regel ein beliebtes Opfer der „Männerliteratur“ sind, verleiht Jelinek ihnen eine neurodiverse Gegensprache, mit der die tote Frau ihren eigenen Körper zurückfordert.

In ihrem Theaterstück Ulrike Maria Stuart (2006) bringt Jelinek zwei mythisierte Frauen, Maria Stuart und Ulrike Meinhof, in die Figur Ulrike Maria Stuart zusammen, die in Konkurrenz mit Elisabeth I/Gudrun Ensslin auf die Bühne treten. In diesem Beitrag wollen wir untersuchen, auf welche Art und Weise Jelinek diese toten Frauen zum Sprechen bringt. Eine neurodiverse Perspektive auf Sprache lenkt den Blick auf verkörperte Formen der Unterdrückung und erlaubt eine Neuinterpretation der Gefühlslosigkeit und der Antipsychologie, auf die Jelineks Werke generell reduziert werden. Ausgehend von der im Stück offen herausgestellten Spannung zwischen Kontrolle und Kontrollverlust der Protagonistinnen, soll vor dem Hintergrund des Konzeptes Neurodiversität dargestellt werden, die Frau eine ‚gemietete‘ Sprache verwendet, die nicht selbstverständlich die ihrige ist, sondern trotz und gleichzeitig wegen Unterdrückung zustande kommt. Sie strukturiert ihre Rede mithilfe von spielerischen Bewältigungsstrategien und Kontrollmechanismen so, dass sie überhaupt sprechen kann. Indem Jelinek die tote Frau im Kampf mit der Sprache aufführt, zeigt sie sie als zerbrechliche, dafür aber nicht weniger mächtige Stimmen.

Informationen zu Liselotte Van der Gucht
Informationen zu Jeanne Verwee

Moritz Ladstätter: „Kompositorisches Schreiben“. Zu musikalischen Schreibverfahren in Elfriede Jelineks und Georg Trakls Lyrik

für den Nachwuchsworkshop 2022

Das Verhältnis von Musik und Sprache ist kompliziert. In der Forschung gibt es zahlreich Theorien darüber, ob und inwiefern Musik als eine Art von Sprache zu sehen ist und worin die genauen Unterschiede liegen.1 Eine Abgrenzungsmöglichkeit ist, dass Musik über kein eigenes Zeichensystem, im Sinne einer begrifflichen Sprache verfügt. Aus diesem Grund kann sich beispielsweise Instrumentalmusik, stets nur mir impliziten Referenzen auf Sprache und somit auch auf Literatur beziehen. Interessant ist daher die Frage, mit welchen literarische Techniken sich Sprache auf Musik beziehen kann. Im Handbuch der Musik und Literatur, herausgegeben von Nicola Gess und Alexander Honold, werden diese literarischen Verfahren unter den Namen Telling und Showing analysiert. Ausgehend von dieser theoretischen Grundlage soll in diesem Paper die Lyrik von Jelinek, nach musikalischen Bezügen untersucht werden. Neben einer Erfassung des „musikalischen“ Wortschatzes nach Art und Frequenz, werden auch zwei von Jelineks Gedichten genauer betrachtet. Dabei wird die Frage gestellt ob literarische Verfahren – entgegen der Ansicht einiger Wissenschaftler:innen2 – kompositorisch (im Sinne einer musikalischen Komposition) wirken können. Dies könnte sowohl durch eine Collage assoziativer Teilreproduktionen als auch einer Kombination von spezifisch musikalischer Evokation und musikalischen Formanalogien vonstatten gehen.3

1 Hindrichs, Gunnar: Sprache und Musik. In: Gess, Nicola, / Alexander Honnold (Hg.): Handbuch Literatur & Musik. Berlin: de Gruyter 2017, S. 19-38. S. 19.
2 vgl.: Janke, Pia: Jelinek und die Musik. In: Müller, Sabine / Theodorsen, Cathrine (Hg.): Elfriede Jelinek –
Tradition, Politik und Zitat. Wien: Praesens Verlag 2008 (= Diskruse.Kontexte.Impulse: Publikationen des Elfriede Jelinek-Forschugnszentrums 2), S. 271-285. S. 272.
3 Zu ausführlichen Erklärung der Showing-Verfahren siehe: Wolf, Werner: Musik in Literatur: Showing In:
Gess, Nicola, / Alexander Honnold (Hg.): Handbuch Literatur & Musik. Berlin: de Gruyter 2017, S. 95-113. S. 95-96.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Moritz Ladstätter

Clara Metzger: Jouer d’un instrument de domination?  Musique et sexualité dans „Lust“  (1989) d’Elfriede Jelinek

für den Nachwuchsworkshop 2022

Introduction
La musique est dans Lust un des motifs privilégiés des images décrivant la relation sexuelle conjugale dans le couple protagoniste du roman, Hermann et Gerti. Cette forte présence du motif de la musique dans la description de la sexualité conjugale a été le point de départ d’une interrogation plus générale sur la valeur et la fonction de la musique dans Lust. La lecture du dossier «Jelinek und die Musik» a également été l’occasion de suivre dans cette étude la piste méthodologique que donnait Pia Janke dans son article «Elfriede Jelinek und die Musik» consistant à étudier la musique dans les textes de Jelinek non seulement d’un point de vue de la musicalité de la langue, mais aussi, et peut-être surtout, d’un point de vue des motifs musicaux eux-mêmes, d’autant que dans le cas de Lust, cette étude croiserait ce qui a été surnommé la «Gretchenfrage» des études sur Lust, celle du caractère pornographique ou anti-pornographique de la description de la sexualité dans le roman. Dans cette présence détonante et étonnante de la musique dans l’écriture de la sexualité n’est pas rendue visible uniquement une sexualité conjugale marquée exclusivement par la violence et la domination du mari sur sa femme. Par réverbération, c’est également la fonction sociale particulière de la musique et notamment son usage dominateur et conservateur dans les rapports de genre qui est présentée.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Clara Metzger

Anna Rottenfußer: „Namen sind ohnehin Schall und Rauch“: Der tausendjährige Posten oder der Germanist von Irene Dische und Elfriede Jelinek als Geschichtsoper

für den Nachwuchsworkshop 2022

Eine dreiste Lüge, die den Protagonisten vor der rechtlichen Auseinandersetzung mit seiner militärischen Vergangenheit bewahrt, und eine Doppelidentität mit dramatischen Auswirkungen auf das Umfeld: So weit haben Irene Dische und Elfriede Jelinek in ihrer Travestie von Franz Schuberts Singspielen Der vierjährige Posten (Libretto: Theodor Körner) und Die Zwillingsbrüder (Libretto: Georg Ernst von Hofmann) die zwei zentralen Handlungspunkte der Vorlagen übernommen. Dann aber ist die possenhafte Idylle der beiden Operetten in der Bearbeitung durch Dische und Jelinek mit den historischen Tatsachen des Falls Schwerte von 1995 (im Stück: Schall) verwoben. Deutsche Geschichte wird zur abgründigen Dimension. Mein Dissertationsprojekt an der Uni Wien befasst sich mit der Darstellung historischer Ereignisse in der Oper des 20. Jahrhunderts und versucht eine Gattungstheorie der Geschichtsoper zu bilden. Ausgehend von diesen Untersuchungen scheint es vielversprechend, auch den Tausendjährigen Posten unter dem gattungsgeschichtlichen Kontext der Geschichtsopern zu betrachten und an deren Entwicklungen im 20. Jahrhundert (Krenek: Karl V., Braunfels: Jeanne d’Arc, von Einem: Dantons Tod, Henze: Der Prinz von Homburg, Rihm: Die Eroberung von Mexico) anzuschließen. Es soll untersucht werden, wie Geschichtsdarstellung auf den unterschiedlichen Ebenen im Singspiel stattfindet und funktioniert. Konkret bedeutet dies eine Auseinandersetzung mit der Darstellungsweise von der Verdrängung und Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und derer, die sich ihrer Verantwortung entzogen haben. Das betrifft auch die narratologische Ebene, „wie“ geschichtliche Ereignisse auf der Bühne dargestellt oder von Figuren erzählt werden. Daraus lässt sich der Zweck, die subversive Kraft dieser Darstellungsform von „Geschichte als Oper“ ableiten. Es wird herausgearbeitet, inwiefern dies mit Tendenzen des Geschichtsdramas und der Geschichtsoper der Zeit korrespondiert oder sich grundlegend davon unterscheidet. Interessant ist der Rückgriff auf die Libretti der beiden Vorlagen, deren Handlungen sich jeweils vor dem geschichtlichen Kontext der napoleonischen Befreiungskriege abspielen. Jelinek greift in ihren Texten häufig aktuelle oder entferntere historische Ereignisse auf (Bsp. Schwarzwasser, Bambiland, Würgeengel). Die Besonderheit hier ist allerdings der Bezug zu Schubert und die Frage, was aus den Singspielen der Biedermeierzeit nicht nur durch die radikale Umwertung mit einer düsteren Thematik, sondern durch die Umwertung mit geschichtlichen Fakten wird.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Anna Rottenfußer

Bastian Zwölfer: Die Komik bei Johann Nestroy und Elfriede Jelinek. Eine Studie über das Demütungspotenzial des Lachens

für den Nachwuchsworkshop 2022

Ausgehend von meiner Magisterarbeit, in der dieser Aspekt schon einmal behandelt worden ist, geht es in der Dissertation um die Komik bei Elfriede Jelinek und Johann Nestroy, wobei der Fokus hierbei auf dem Phänomen des Lachens liegt. Im Wesentlichen sollen hierfür zwei Theaterstücke Nestroys – Nagerl und Handschuh (1831) und Häuptling Abendwind (1862) – mit zwei Texten Jelineks – Präsident Abendwind (1987) und Am Königsweg (2017) – verglichen werden.
Zunächst wird ein Einblick in die Vielschichtigkeit des Lachens gegeben, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Demütigungspotential des Lachens liegt. Sowohl Nestroy als auch Jelinek hatten ein sehr feinfühliges Gespür für die „Brutalität“, die sich hinter den harmlosen Lachern des Alltags versteckt, und diese „Grausamkeit“ wird auch in den Texten mal direkter, mal indirekter thematisiert.1 Darauf aufbauend passiert dann zweierlei: Einerseits wird das Lachen der literarischen Figuren analysiert, um so die Einstellung von Nestroy und Jelinek herauszuarbeiten. Dabei wird die Annahme vertreten, dass es sich bei diesen Autoren um zynische Beobachter ihrer Zeit handelt. Anschließend wird dann – andererseits – nach den Strategien gefragt, mit denen Nestroy und Jelinek versuchen, ihr Publikum zum Lachen zu bringen. Dabei wird vor allem auf die sprachlichen Mechanismen eingegangen (Wortspielereien etc.)
Für den Workshop würde ein Teilbereich der Dissertation herausgenommen werden, nämlich die Gegenüberstellung von Nestroys Häuptling und Elfriede Jelineks Präsident Abendwind. Durch den Vergleich dieser beiden Theatertexte kann (hoffentlich) exemplarisch gezeigt werden, inwieweit Jelinek – erstens – einer gewissen Tradition des bürgerlichen Lachtheaters folgt bzw. wo sie diese Tradition verlässt; es geht also darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Autor*innen sowohl auf der inhaltlichen als auch der sprachlichen Ebene herauszuarbeiten, um die Parallelen darzustellen. Zweitens kann so untersucht werden, welche sprachlichen Mechanismen Nestroy und Jelinek verwenden, um beim Publikum ein Lachen zu erzeugen und inwiefern dieses Lachen (auch) einen „grausamen“ Kern beinhaltet.

1 „Na, das hat schon Nestroy gewusst, dass hinter dem Lachen die Brutalität und die Grausamkeit steckt.“ Janke, Pia: Hinter dem Lachen steckt die Brutalität und die Grausamkeit. Elfriede Jelinek im Gespräch mit Pia Janke. In: Pia Janke, Teresa Kovacs, Christian Schenkermayr (Hg.): Elfriede Jelineks „Burgtheater“ – Eine Herausforderung. Wien: Praesens Verlag 2018 (= DISKURSE.KONTEXTE.IMPULSE. Publikationen des Elfriede Jelinek Forschungszentrums 18), S. 19-25, S. 20.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Bastian Zwölfer

RAAR-Kollektiv: Saudade in Context

für den Nachwuchsworkshop 2022

Saudade in Context stellt Wehmut in ihren ungestümen Nuancen zur Schau, welche einem G8 Gipfel der Weltgefühle zu gleichen scheint. Eine Gleichgültigkeit, die kocht. Während die Parolen heiserer Essenzen einen idifferenzierten Klangteppich, einem aufgeforsteten Fichtenwald gleich, bilden und einem HipHop der Aporie bescheide und klassisch die Bühne bereiten.

Konzept von raumarbeiterinnen.org
Szenographie, Bühnenbild und Titelstiftung: Martha Ölschläger
Dramaturgie und Inszenierung: Theresa Muhl, Kerstin Reyer, Sophie Netzer und Simone Barlian
Komposition Klassik: Hans Wagner & Bruckneruni Orchester
Komposition HipHop/Rap: Yasmin Hafdeh
Tänzer*innen + Performance: Anja Jurek, Ariathney Coy, *raumarbeiterinnen allstars*

PDF-Download des Beitrags

Informationen zum RAAR-Kollektiv

Judith Kaltenbrunner: Verlorene Stimmen? – Zur Ästhetik der Sprachlosigkeit in postdramatischen Sprach-Spielen von Elfriede Jelinek und Peter Handke.

für den Nachwuchsworkshop 2022

Diese Masterarbeit setzt sich mit der narrativen Inszenierung von Sprachlosigkeit in literarischen Sprach-Spielen von Elfriede Jelinek und Peter Handke auseinander. Anschließend an Hans-Thies Lehmanns Thesen zum postdramatischen Theater1 rücken zwei Texte ins Zentrum, die – im Spannungsfeld zwischen Drama und Erzählen operierend – Sprachlosigkeit versprachlichen, indem sie diese auf besondere Weise spürbar machen. Dies ist zum einen Peter Handkes Nebentext- bzw. ‚Schau‘-Erzählung „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ (1992), zum anderen Elfriede Jelineks polyphoner Klangroman „Die Schutzbefohlenen“ (2018). Beide Texte erkunden auf ihre Weise neue literarische Möglichkeiten der Versinnlichung von Sprachlosigkeit, die in der bisherigen Forschung noch unzureichend aufgegriffen und analysiert wurden. Während Handke mit der erzählerisch evozierten Imagination visualisierten Schweigens experimentiert, entfaltet Jelineks Text eine stumme, narrative Inszenierung gehörter Sprachlosigkeit und verfolgt damit eine komplementäre, auf einer paradoxen Akustik basierende Strategie. Die intermedialen und multimodalen Aspekte dieser zwei paradigmatischen Ästhetiken der verlorenen Stimme (Handke, Jelinek) werden in einem textnahen Zugang untersucht, der induktiv und exemplarisch angelegt ist.
Ein erster Arbeitsschritt widmete sich der Analyse des literarisch imaginierten, ‚theatralen‘ Seh-Sinns in Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“. Hier ließ sich zeigen, dass die wortreich inszenierte Visualität der erzählten (Bühnen-)Welt das Abwesende und Unsagbare über eine komplexe sinnliche Erfahrung wahrnehmbar macht, die auf einer dynamischen Spannung zwischen Bildlichkeit und Sprachlosigkeit beruht. Hierzu tragen das im Text inszenierte Hin-Schauen bzw. Hindurch-Schauen auf den Ort der Leere ebenso bei wie die Bildhaftigkeit der beschriebenen, aber immer schweigenden Gestalten und die doppelte Notwendigkeit des lesend zuschauenden Publikums.
In Analogie wie auch Kontrast hierzu werden zurzeit die verschiedenen Aspekte des inszenierten Hör-Sinns in Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ untersucht, wo Sprechen und Hören einander bedingen und der Mangel an beidem – wiederum in forcierter, gedoppelter Weise – kaum zu überhören ist. Die Sprachlosigkeit präsentiert sich hier u.a. als Leere an Aussagen inmitten einer paradoxen Polyphonie stummer Stimmen: In Form von chorischen Reden bzw. Gesängen wird im Leseprozess ein innerer Widerspruch zum Sinn des Gesprochenen berührt, der nur bei genauerem (literarisch gelenktem) Hinhören geklärt werden kann. In hohem Maße akustisch aufgeladen, wird beim Lesen die Imagination einer Fülle an Stimmen evoziert und eine Ästhetik entfaltet, die gerade durch ihre Stimmlosigkeit über die ästhetischen Grenzen einer Hör- bzw. Schau-Spiel-Inszenierung weit hinausreicht. Innerhalb dieses Analyserahmens wird im Anschluss an die aktuelle Jelinek-Forschung 2, 3, 4 zudem erkundet, welchen Stimmen zugehört und in welchen Stimmen (über andere bzw. für andere) gesprochen wird. Ziel dieser Analyse ist es aufzuzeigen, wie Jelinek in „Die Schutzbefohlenen“ Sprachlosigkeit über den Körper der Schrift und der Lesenden auf eine Weise zum Klingen bringt, die sich u.U. als postdramatisches Erzählen bezeichnen ließe.

1 Lehmann, Hans-Thies: Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 2015.

2 Pełka, Artur: Das Spektakel der Gewalt – die Gewalt des Spektakels. Angriff und Flucht in deutschsprachigen Theatertexten zwischen 9/11 und Flüchtlingsdrama. Bielefeld: Transcript 2016.

3 Ronge, Verena: Polyphonie der Stimmen – Polyphonie der Geschlechter. Die Bühne als Hör-Raum im postdramatischen Theater Elfriede Jelineks. In: Birkner, Nina und Andrea Geier u.a. (Hg.): Spielräume des Anderen. Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater. Bielefeld: Transcript 2014, S. 129-142.

4 Wilkinson, Jane: Dialogicity, Monologicity and the Crisis of Hospitality in Elfriede Jelinek’s „Die Schutzbefohlenen.“ In: Austrian Studies Vol. 26/2018, S. 91-105.

PDF-Download des Beitrags

Informationen zu Judith Kaltenbrunner